Eine Nacht in Helsinki

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Langsam kann man getrost von einem Corona-Genre sprechen, denn immer mehr Filme erscheinen, die aus der Not des Lockdowns eine Tugend gemacht haben und in reduzierten Settings entstanden. Dass deren Geschichten notgedrungen ebenfalls stark reduziert sind, ist auch in Mika Kaurismäkis „Gracious Night“ zu spüren, der vor allem für eingefleischte Finnland und Kaurismäki-Fans von Interesse ist.

Website: https://arsenalfilm.de/eine-nacht-in-helsinki/index.htm

Yö Armahtaa
Finnland 2020
Regie: Mika Kaurismäki
Buch: Mika Kaurismäki & Sami Keski-Vähälä,
Darsteller:Timo Torikka, Kari Heiskanen, Pertti Sveholm, Anu Sinisalo
Länge: 90 Minuten
Verleih: Arsenal
Kinostart: 20.1.2022

FILMKRITIK:

Während in Deutschland der 1. Mai für die meisten Arbeitnehmer einfach ein willkommener Feiertag ist, der nur noch wenig mit dem ursprünglichen Anlass zu tun hat, ist der Maifeiertag für den durchschnittlichen Finnen ein Festtag. Weniger wegen besonderer Nähe zu den sozialistischen Idealen (auch wenn man das angesichts der geographischen Nähe Finnlands zu Russland annehmen könnte) sondern weil am 1. Mai der Beginn des Frühlings in dem nordeuropäischen Land gefeiert wird. Und wer die Finnen kennt, der weiß, dass jeder Festtag dazu genutzt wird, ausgiebig zu feiern und zu trinken. Wenn so ein Tag also durch die Corona-Pandemie ausfällt, verursacht das nicht nur bei den Besitzern von Bars und Restaurants großen Schmerz, sondern auch bei der Kundschaft.

Mit dieser Ausgangssituation beginnt Mika Kaurismäkis „Gracious Night“. Nach ein paar Aufnahmen vom normalerweise lebhaften Zentrum Helsinkis, dem Bahnhof, den Fußgängerzonen der Hauptstadt, wechselt das Szenario in die Bar von Heikki (Pertti Sveholm), der durch Corona kurz vor dem Ruin steht. Ein letztes, einsames Abendessen und ein gutes Glas Wein will er zu sich nehmen, dann soll die Bar abgebrannt werden. Doch dann steht Risto (Kari Heiskanen) vor der Tür, ein Stammgast, der als Arzt an vorderster Front der Pandemie arbeitet. Offiziell bewirten darf Heikki Risto zwar nicht, aber ein Glas unter Freunden ist natürlich erlaubt. Bald komplettiert schließlich Juhani (Timo Torikka) das Trio, der unbedingt sein Handy aufladen will, denn er erwartet den Anruf seiner Tochter, die ihr erstes Kind erwartet. Etwas irritiert sind die beiden anderen von Juhani, der ein Geheimnis zu verbergen scheint, doch bald sitzt das Trio bei Rotwein zusammen und redet über Gott, die Welt und die unvorhergesehenen Wege des Schicksals.

Wem diese Dreierkonstellation bekannt vorkommt, darf sich als großer Kenner der Filme Mika Kaurismäkis fühlen. Denn im 2008 entstandenen „Three Wise Men“ sind es genau die selben Schauspieler, die in der Variation der Weihnachtsgeschichte drei Männer spielen, die sich in einer Bar treffen und – damals wie heute – über das Leben sinnieren. Und um das Selbstzitat noch ein wenig reicher zu gestalten, war es damals die von Pertti Sveholm gespielte Figur, die auf einen Anruf und die Geburt eines Kindes wartete.

Ob es damals ein ausgefeilteres Drehbuch gegeben hat, kann man sich fragen, denn „Gracious Night“ ist ein weitestgehend improvisierter Film. Allein die Ausgangssituation war vorgegeben, die Grundzüge der Figuren und Konstellation, der Rest wurde vor Ort, natürlich in einer der diversen Kneipen, die die Kaurismäki-Brüder in Helsinki betreiben, improvisiert. Und dafür muss man sagen sind die Unterhaltungen des Trios erstaunlich dicht und reich an bisweilen philosophischen Tiefen. Über 90 Minuten trägt das zwar nur bedingt, doch als sehr typischen Kaurismäki-Film kann man „Gracious Night“ ohne Frage bezeichnen.

Michael Meyns