Eine Revolution – Aufstand der Gelbwesten

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An einem Kreisverkehr demonstrierten die Gelbwesten in der nordfranzösischen Stadt Chartres – ein symbolisches Bild für einen Protest, der anfangs Hunderttausende auf die Straßen brachte, aber bald verpuffte. Emmanuel Gras zeichnet in seinem Dokumentarfilm „Eine Revolution – Aufstand der Gelbwesten“ Motivation und Leben einzelner Demonstranten nach und stellt beiläufig die Frage, ob und wie eine Revolution in der heutigen Zeit möglich sein könnte.

Un Peuple
Frankreich 2022
Regie: Emmanuel Gras
Dokumentarfilm

Länge: 104 Minuten
Verleih: Drop-out Cinema
Kinostart: 12. Januar 2022

FILMKRITIK:

Im November 2018 wurde verkündet, dass sich durch eine „Ökosteuer“ die Benzin- und Dieselpreise in Frankreich um 3 bzw. 7 Cent erhöhen würden. Eigentlich ein eher bescheidener Betrag, doch angesichts ohnehin zunehmend steigender Lebenshaltungskosten war dieser Moment der Auslöser für das, was bald als Protest der Gelbwesten bekannt wurde. Landesweite Proteste brachten anfangs Hunderttausende auf die Straßen, die für einen sozialen Wandel protestierten.

Teilweise agierten die Demonstranten mit Gewalt und Sachbeschädigung, oft schlug die Staatsmacht brutal zurück, grundlegende Änderungen am System gab es (natürlich) nicht, die Proteste, die in erster Linie aus den Reihen der Arbeiterklasse hervorgingen, wurden im Gegenteil oft diskreditiert, mit Fremdenfeindlichkeit und Rassismus gleichgesetzt.

Etliche Filme sind in Frankreich in den letzten Jahren über die Proteste entstanden, der Dokumentarfilmer Emmanuel Gras reiht sich mit „Eine Revolution – Aufstand der Gelbwesten“ in den Wust der Protestfilme ein, schafft es dabei aber doch, dem Thema neue, interessante Facetten abzugewinnen.

Er konzentriert sich auf eine handvoll Menschen, die in der nordfranzösischen Stadt Chartres leben und protestierten. Benoît, Agnès, Allan und Nathalie heißen sie, leben in bescheidenen, prekären Verhältnis und verlangen nicht viel: Dass die Arbeit, die sie seit Jahren oder Jahrzehnten haben, für ein würdiges Leben und eine Mindestversorgung im Alter ausreicht. Aber sie gehören zur unteren Mittelschicht oder zur Unterschicht, anders gesagt zu Menschen, denen auch in Frankreich kaum jemand zuhört.

Wie können sie ihr Anliegen also vorbringen, wie könnte es gelingen, das ein sozialerer Staat entsteht, dass nicht die Reichen immer reicher werden, die Schere zwischen den Klassen immer größer wird, sondern das eine der Grundfesten des französischen Selbstverständnisses, die Gleichheit, wieder mehr Gewicht findet?

Ohne zu agitieren, ohne selbst Position zu beziehen, beobachtet Gras seine Protagonisten, zeigt ihre Diskussionen, ihre Protestaktionen, kleine Momente der Freude, wenn sie von vorbeifahrenden Autofahrern für ihren Aktivismus beglückwünscht werden, aber auch die Desillusionierung, wenn die landesweiten Proteste allzu schnell und ohne wirkliches Ergebnis verpuffen.

Selbst ein 68er wie Daniel Cohn-Bendit warf den Gelbwesten vor, gefährlich autoritär zu agieren, eine Unterwanderung durch „Braunwesten“ wurde befürchtet, gerade an sich linke Beobachter griffen die Methoden und Forderungen der Gelbwesten mit oft erstaunlicher Schärfe an. Von Extremen ist bei den Menschen in Chartres wenig zu spüren, sie agieren überlegt, mit einem Engagement, das man als Mut der Verzweiflung bezeichnen muss. Dass schließlich auch ihre Proteste verpuffen, dass der Kreisverkehr am Ende wieder nur von Autos bevölkert ist, kann desillusionieren. Haben die Proteste der Gelbwesten etwas bewirkt? Haben sie Spuren hinterlassen? Wird der Protest bei nächster Gelegenheit wieder aufflammen, dann vielleicht noch wuchtiger? Emanuel Gras’ Film ist ein nüchternes Dokument, das viele Fragen aufwirft, über Formen des Protests und die Grenzen der Teilnahme am demokratischen Leben. Doch wenn selbst Massendemonstrationen praktisch keinen Effekt haben und die regierende Klasse kaum beeindrucken, wie demokratisch ist eine Gesellschaft dann im Endeffekt noch?

 

Michael Meyns