Freibad

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Sie zählt zu den erfolgreichsten Regisseurinnen der Republik. Anno 1985 gelang Doris Dörrie mit „Männer“ der Durchbruch. Danach avancierte sie mit cleveren Komödien wie „Ich und er“ oder „Keiner liebt mich“ zum verlässlichen Liebling bei Publikum und Presse. Ihr Drama „Kirschblüten – Hanami“ verzauberte die Berlinale. Nun gibt Doris Dörrie die Bademeisterin im gesellschaftlichen Mikrokosmos. In ihrem „Freibad“, zu dem Männer keinen Zutritt haben, steigen mit den Temperaturen die Konflikte unter den Besucherinnen. Vorurteile, Rassismus, Eitelkeiten, Schönheitsideale sind Themen dieser ziemlich klugen und wunderbar vergnüglichen Culture-Clash-Komödie jenseits der ausgelatschen Genre-Wege. Mit erfrischender Leichtigkeit verbindet sich da vordergründiger Klamauk mit hintersinniger Nachdenklichkeit. Burka-Verbot? Body-Bashing? Altersängste? Da geht’s schon ganz schön ans Eingemachte. Und zwar mit Zwerchfell statt mit Zeigefinger. Ein Glücksfall fürs Publikum. Eines der besten Stücke jener erfolgreichsten Regisseurin der Republik.

Webseite: https://www.constantin-film.de/kino/freibad/

D 2022
Regie: Doris Dörrie
Darsteller: Andrea Sawatzki, Maria Happel, Nilam Farooq, Lisa Wagner, Melodie Wakivuamina, Julia Jendroßek, Sabrina Amali, Nico Stank

Filmlänge: 102 Minuten
Verleih: Constantin Film
Kinostart: 1. September 2022

FILMKRITIK:

Polizeieinsatz im Freibad. Was in den Nachrichten längst traurige Sommer-Realität geworden ist, präsentiert sich auch als Auftakt zum neuen Dörrie-Vergnügen. Doch Fehlalarm, schließlich gibt es in diesem Freibad überhaupt keine Männer. Aggressives Macho-Verhalten und sexuelle Übergriffe also Fehlanzeige in diesem reinen Damenbad. Probleme und Problemchen gibt es gleichwohl auch hier, wo Besucherinnen aus unterschiedlichen Kulturkreisen und gesellschaftlichen Klassen aufeinander treffen ist nicht alles eitel Sonnenschein - ganz im Gegenteil. Wenn der schwäbelnde Polizist die freundliche Transfrau (Nico Stank), am Grill als Dank für die Würstchen mit zotigen Witzchen beleidigt, scheint klar, wohin die Vorurteilsreise geht. „Das wird man ja noch sagen dürfen“ schwebt wie ein unsichtbarer roter Faden über dem „Freibad“. Alltags-Sexismus, Vorurteile oder der gewöhnliche Rassismus, bisweilen passiert das ganz nebenbei. Nicht selten wird es knüppeldick mit klamottigem Slapstick aufgetragen. Hauptsache alle fühlen sich immer im Recht in ihrer Echokammer. Intolerant sind immer die anderen.

Eva (Andrea Sawatzki) und Gabi (Maria Happels) gehören zu den Stammgästen im idyllischen Frauenbad, dem einzigen im ganzen Land. Die eine ein feministischer Freigeist, eine „Uschi Obermaier von Giesing“. Die andere eine vermögende Modeliebhaberin, die nicht nur sich selbst, sondern auch ihr Hündchen mit luxuriösem Hermes ausstattet. Der Wellness-Faktor der ungleichen Freundinnen wird getrübt als eine türkischstämmige Großfamilie auftaucht. Nicht nur der Qualm von ihrem Grill sorgt für Ärger, die traditionsbewusste Tochter Yasemin (Nilam Farooq) zieht lieber vollbekleidet im Burkini ihre Bahnen. Als Protestaktion hüpft Eva spontan oben ohne ins Wasser, worauf sie die schwarze Bademeisterin mit schweizerischem Dialekt sofort zur Ordnung ruft.

Doris Dörrie hat sich von wahren Geschehnissen im Loretto-Bad von Freiburg inspirieren lassen, dem hierzulande tatsächlich einzigen Freibad nur für Frauen. Dort sorgten vor fünf Jahren verhüllte Musliminnen unter den altgedienten Besucherinnen ebenso für Ärger wie ein neuer männlicher Bademeister oder Grillgelage auf dem Rasen. Um nicht selbst in die Echokammer-Falle zu geraten, hat Dörrie das Drehbuch gemeinsam mit Karin Kaçi und Madeleine Fricke entwickelt: Die eine kennt sich mit armenischer Kultur gut aus, die andere bringt next generation-Erfahrung ein.

Auffallend unangestrengt spielt die Handlung an ein paar heißen Sommertagen ausschließlich im Bad. Mit erfrischender Leichtigkeit werden die ausgetrampelten Pfade der gängigen Culture-Clash-Komödie verlassen. In diesem Freibad sonnen sich Slapstick und Klamauk gleichermaßen, wobei der nachdenkliche Witz, gleichsam als Sonnenöl, nie fehlt. Burka-Verbot? Bodyshaming? Altersängste? Selbstbestimmtheit? Vorurteile? Rassismus? Toleranz? Politische Korrektheit? Woke-Gebaren? Doerries Themen könnten ganze Kirchentage füllen. Ihr gelingt es, die schwere Kost mit leichter Hand zu präsentieren. Serviert wird das Comedy-Menu von einem umwerfend ulkigen Ensemble, dem die Sache sichtlich Spaß macht und welches sich die Pointen-Bälle ganz uneigennützig zuspielt. Sowie von Kameramann Hanno Lentz („Fabian oder Der Gang vor die Hunde“, „Kirschblüten – Hanami“), der echte Sommerstimmung auf die Leinwand zaubert. Wenn des Nachts immer wieder die aufblasbaren Plastiktiere über das Wasser gleiten, werden daraus wunderbare Pausenbilder zum Nachdenken. Etwa über jenes bewegende „Du-Sein“-Plädoyer der Transfrau Kim, das fast schon Klassiker-Potenzial besitzt.

 

Dieter Oßwald