In Liebe lassen

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Der Tod klopft mal wieder an eine Tür, viel zu früh. Krebs im Endstadium. Dies zu akzeptieren fällt schwer. Der von Catherine Deneuve gespielten Mutter noch mehr als ihrem erkrankten 40-jährigen Sohn Benjamin (Benoît Magimel). Auf höchst einfühlsame Weise begleitet Regisseurin Emmanuelle Bercot den Leidens- und Sterbeprozess über ein Jahr verteilt. Die Krankheit und das Schicksal zu akzeptieren, daran hat insbesondere auch der Onkologe Dr. Eddé mit seinen besonderen Methoden großen Anteil. Gespielt wird er von Gabriel A. Sara, Direktor des New Yorker Mount Sinai Hospital.

Website: https://www.studiocanal.de/kino/

De son vivant
Frankreich 2021
Regie: Emmanuelle Bercot
Darsteller: Catherine Deneuve, Benoît Magimel, Cécile de France, Gabriel A. Sara
Länge: 122 Minuten
Verleih: Studiocanal Germany
Kinostart: 20.01.2022

FILMKRITIK:

Wie viele Krawatten der exzellent französischsprechende Mediziner US-libanesischer Herkunft in seinem Schrank hat, man würde es gerne wissen. Im Laufe des Sterbedramas von Emmanuelle Bercot – in ihrem vorangegangenen Film „Die Frau aus Brest“ erzählte sie die Geschichte einer mutigen Ärztin, die nach dem Tod zahlreicher Patienten gegen ein mächtiges Pharmaunternehmen mobil machte - trägt er jedenfalls eine Menge unterschiedlicher und teils auch abenteuerlicher Exemplare, jedes Mal bewusst ausgewählt, um eine persönliche Verbindung zu seinen Patienten aufzubauen.

Dr. Eddé ist ein supersympathischer und empathischer Arzt, der sich Zeit nimmt und seine Diagnosen behutsam übermittelt, der Trost spenden, aber auch Mut machen kann. „Wenn die Folgen der Chemie weniger sind als der durch die Krankheit verursachte Schmerz, dann lohnt es sich, über diesen Schritt nachzudenken“, sagt er zu Beginn des Films einmal. Gemeinsames Singen auf der Station oder am Krankenbett gehören ebenfalls zu seinen Methoden, Leid zu lindern oder wenigstens für einen Moment abzulenken von den Schattenseiten des Unvermeidlichen. Allein ihn auf Leinwand entdecken und erleben zu dürfen, ist ein Ereignis, wenngleich die Entspanntheit des gesamten Personals auf der Krankenstation vielleicht nicht unbedingt der Wirklichkeit des am Anschlag operierenden (französischen) Gesundheitssystems entsprechen dürfte. Cécile de France wirkt als zuständige Krankenschwester mit einer über das Fachliche hinausgehenden Anziehung auf „ihren“ Patienten mit.

Im Zentrum der Geschichte freilich steht das Verhältnis zwischen der von der Situation sichtbar überrumpelten und überforderten Mutter und dem mitten im Leben stehenden Sohn, einem Theaterregisseur, der sein Schicksal lange nicht wahrhaben will, sich als Versager wahrnimmt, während die Mutter nicht akzeptieren mag, dass sie ihn verlieren wird.

Beide erleben eine emotionale Achterbahnfahrt, bei der auch Stationen der Vergangenheit berührt werden und innere, teils noch nicht abgeschlossene Konflikte hochkochen. Insbesondere Benoît Magimel überzeugt dabei durch seine emotionale Wandlungsfähigkeit und springt glaubhaft vom harten Zyniker zum verletzlichen Zeitgenossen, Catherine Deneuve unterstreicht routiniert den Weg einer mit unvermeidlichem Leid konfrontierten Mutter. Im Laufe des Handlungsjahres ruft Dr. Eddé beiden immer wieder ins Gedächtnis, die Zeit zu nutzen und Aufzuräumen mit Dingen, die auf das nahende Ende hin den Frieden stören könnten – und die das Loslassen erleichtern.

Thomas Volkmann