Köy

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Drei Kurdinnen aus drei Generationen sprechen über ihre kulturelle Identität: Neno und Saniye kamen aus kurdischen Dörfern nach Berlin, Hêvîn wurde dort geboren. Serpil Turhan („Rudolf Thome – Überall Blumen“) porträtiert die Frauen in einem schlicht gestalteten politischen Dokumentarfilm, indem sie offene Gespräche mit ihnen führt. „Köy“ feierte seine Uraufführung im November 2021 als Eröffnungsfilm der 45. Duisburger Filmwoche.

Webseite: salzgeber.de/koey

Deutschland 2021
Regie: Serpil Turhan
Buch: Eva Hartmann, Serpil Turhan
Mitwirkende: Neno, Saniye, Hêvîn

Laufzeit: 90 Min.
Verleih: Edition Salzgeber
Kinostart: 21. April 2022

FILMKRITIK:

„Köy“ heißt auf Kurdisch „Dorf“. Von ebendort immigrierten Neno und die ursprünglich Zûrê genannte Saniye Mitte der 1970er-Jahre nach Berlin – Neno als Erwachsene und mehrfache Mutter, Saniye als Kleinkind. Die jüngste Protagonistin Hêvîn wurde 1996 in Berlin-Kreuzberg geboren und spürt dem kurdischen Teil ihrer Identität als Aktivistin und angehende politische Schauspielerin nach.

Über einen Zeitraum von drei Jahren führte die Regisseurin und Co-Autorin Serpil Turhan Gespräche mit den Frauen aus ihrem Familien- und Bekanntenkreis. Inhaltlich kreist der Film um die zerrissene kulturelle Identität der Protagonistinnen und ihre diffuse Sehnsucht nach der Heimat. Saniye wurde sich ihrer kurdischen Wurzeln erst bewusst, als ihr älterer Bruder sie als Jugendliche darauf aufmerksam machte: „Wir sind keine Türken, wir sind Kurden.“ Heute betreibt Saniye ein Kiez-Café in Berlin-Schöneberg und will für eine Weile in ihrem Geburtsort leben, wenn die politische Lage es erlaubt.

Ein zentrales Thema ist der Kurdenkonflikt, der unter dem türkischen Präsidenten Erdoğan weiter eskaliert. Hêvîn sieht sich als Teil der Opposition und will der Risiken zum Trotz als Wahlbeobachterin in türkisches Kurdengebiet reisen. Daneben geht es um Unterschiede zwischen ländlichen kurdischen Wertvorstellungen und der westlichen Lebensweise. Neno, die Großmutter der Regisseurin, fühlt sich traditionellen Rollenbildern verpflichtet, die Saniye überwand und die Hêvîn nicht mehr tangieren.

Abgesehen von kurzen Exkursionen in die kurdische Provinz und das urbane Berlin zeigt der filmisch schnörkellose Themenfilm vor allem die Wohnungen und andere Aufenthaltsorte von Neno, Saniye und Hêvîn. Die intimen Gespräche finden zwischen Familienfotos und persönlichen Regalen im alltäglichen Setting statt, was die Biografien beiläufig unterfüttert. Durch ihre Fragen aus dem Off erscheint Serpil Turhan als weitere Protagonistin, die nicht selbst vor die Kamera tritt. Ihr gelingt eine Reflexion über kulturelle Zugehörigkeit, die sehr persönlich ausfällt und zugleich universelle Aspekte aufwirft.

Christian Horn