Kopfplatzen

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Markus lebt als erfolgreicher Architekt von außen betrachtet ein sorgenfreies Dasein. Doch er verbirgt ein Geheimnis, das mit einem andauernden Kampf gegen seine Triebe einhergeht: Er fühlt sich zu Jungs hingezogen. Sein Begehren steigt ins Unermessliche, als ein neuer Nachbarsjunge in sein Leben tritt. Das mutige, emotional gewichtige Drama „Kopfplatzen“ erzählt von inneren Dämonen, dem Kampf gegen die eigene Identität und das Ringen um Glück. Ein wichtiger und eindringlich gespielter Film, der das Geschehen konsequent aus der Sicht des „Betroffenen“ schildert.

Website: www.salzgeber.de/kopfplatzen

Deutschland 2019
Regie & Drehbuch: Savaş Ceviz
Darsteller: Max Riemelt, Isabell Gerschke, Oskar Netzel, Gabriele Krestan
Länge: 100 Minuten
Verleih: Salzgeber
Kinostart: 20. August 2020

FILMKRITIK:

Niemand in seiner Familie und seinem Arbeitsumfeld weiß von Markus‘ (Max Riemelt) pädosexueller Neigung. Der angesehene, 29-jährige Architekt fühlt sich sexuell zu kleinen Jungs hinzugezogen. Markus verabscheut sich dafür und versucht seine Sexualität zu unterdrücken. Das wird umso schwerer, als die alleinerziehende Jessica (Isabell Gerschke) mit ihrem achtjährigen Sohn Arthur in die Nachbarswohnung einzieht. Arthur mag es, wenn Markus auf ihn aufpasst, und sieht in ihm schon bald eine Vaterfigur. Darüber ist auch seine Mutter glücklich, die sich schließlich in Markus verliebt. Doch insgeheim ahnt Markus, dass er sein Verlangen, das sich mehr und mehr auf Arthur konzentriert, nicht mehr lange zurückhalten kann.

„Kopfplatzen“ ist das Spielfilmdebüt des türkischstämmigen Filmemachers Savaş Ceviz, der seit den 90er-Jahren zahlreiche Kurz- und Dokumentarfilme inszenierte. In seinem mit Max Riemelt („Die Welle“) und Isabell Gerschke („SOKO München“)prominent besetzten Drama lotet er sorgsam und mit Geduld das Innenleben einer gequälten Seele aus. „Kopfplatzen“ erzählt seine Geschichte ganz aus der Sicht dieser, sich selbst hassenden Person, die beständig gegen die eigenen Bedürfnisse angehen muss.

Hauptdarsteller Riemelt, der mit seinem ausdrucksstarken mimischen Spiel seine Emotionen glaubhaft vermittelt, ist in fast jeder Szene des Films zu sehen. Die Kamera folgt ihm bei seinen Schwimmbadbesuchen, die er nur unternimmt, um die badenden Minderjährigen zu fotografieren. Sie ist dabei, wenn er von seinem Fenster aus die Kinder auf der Straße beobachtet. Oder wenn er sich – unter großem Selbsthass – selbst befriedigt und zur Stimulation unter anderem die selbst geschossenen Fotos nutzt. In all diesen Momenten zeigt sich zudem, wie sehr Markus mit sich sowie seiner Identität hadert und wie groß das Leid ist.

Riemelt veranschaulicht dies mittels gedankenverlorener, melancholischer Blicke und einer wirkungsvollen Körpersprache, die auf ungeheure Verzweiflung und Resignation schließen lassen. Nicht selten sackt Markus in sich zusammen, geht mit gesenktem Kopf, bricht in Tränen aus oder lässt seiner Wut beim Kickboxen freien Lauf. Darüber hinaus arbeitet „Kopfplatzen“ noch einen weiteren Aspekt akkurat heraus: Wie stark Markus‘ nicht ausgelebte Sexualität und das damit verbundene innere Martyrium seinen Alltag bestimmen. Das „Problem“ ist immer präsent und allgegenwärtig. Die Konzentration auf der Arbeit fällt schwer und allmählich gehen Markus auch die Ausreden aus, wieso er mit den Kollegen nicht noch ausgehen mag oder er keine feste Freundin hat.

Nicht immer glaubwürdig sind die Verhaltensweisen und Reaktionen einzelner Personen. Zum Beispiel wenn Markus seinem Hausarzt von seiner Pädosexualität erzählt und dieser auf eine Art und Weise reagiert, wie man es ich bei einem – verständnisvollen – Arzt in der Realität nur schwer vorstellen kann. Oder wenn Jessica (wahrhaftig und sensibel in ihrer Darstellung: Isabell Gerschke) ihren Sohn mit Markus alleine lässt, obwohl sie diesen praktisch noch gar nicht kennt.

Abgesehen davon aber gelingt Savaş Ceviz ein durch und durch mitreißendes, berührendes Drama, das ebenso auf visueller Ebene überzeugt. Denn Markus‘ seelischer Schmerz spiegelt sich nicht zuletzt in der Optik und Farbgebung: Viele Szenen spielen in schwach ausgeleuchteten Räumen, manche in fast völliger Dunkelheit. Zudem wirken viele Bilder grau und trist – ganz dem Gemütszustand der Hauptperson entsprechend. Die letzte Einstellung nimmt einen lange gefangen und lässt darauf schließen, dass Markus die Kräfte für seinen alltäglichen Kampf allmählich verlassen.

Björn Schneider