Last Night in Soho

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Regisseur Edgar Wright hat sich nach „Scott Pilgrim gegen den Rest der Welt“, der Cornetto-Trilogie sowie dem beatgetriebenen Actionspektakel „Baby Driver“ vor allem mit leichtfüßiger Kost hervorgetan. Für „Last Night in Soho“ wagt er sich nun erstmals in reine Horrorfilmgefilde vor – doch das ist in diesem Fall völlig anders gemeint als es der bisweilen etwas reißerische Trailer vermuten lässt. Dass das feministische Starvehikel so an die Nieren geht, liegt nämlich nicht an Geistern und Dämonen, sondern an der Erkenntnis, dass es #MeToo schon viel früher hätte geben sollen…

Website: https://www.upig.de/micro/last-night-in-soho

Großbritannien 2021
Regie: Edgar Wright
Darsteller:innen: Thomasin McKenzie, Anya Taylor-Joy, Diana Rigg, Matt Smith, Terence Stamp
Verleih: Universal Pictures
Länge 116 Min.
Start: 11.11.2021

FILMKRITIK:

Eloise (Thomasin McKenzie) ist eine ehrgeizige Modedesignstudentin, die es für ihr Studium nach London verschlägt. Hier fühlt sich die zurückhaltende junge Frau sichtlich unwohl, denn ihre Kommilitoninnen sind im Gegensatz zu ihr deutlich selbstbewusster und tun sich in erster Linie durch Neid und Missgunst hervor. Einzig und allein ein charmanter Mitschüler (Michael Ajao) – in dem vornehmlich von Frauen besuchten Studiengang ohnehin eine Ausnahmeerscheinung – scheint sich auch für Eloises schüchterne Persönlichkeit zu interessieren und beginnt, sich mit ihr anzufreunden. Doch so nett diese neue Bekanntschaft für Eloise auch sein mag, ein Geheimnis behält sie für sich. Denn Nacht für Nacht träumt sie sich in die Swinging Sixties und verschmilzt dort mit der hoffnungsvollen Nachwuchssängerin Sandy (Anya Taylor-Joy), die sich im Londoner Nachtleben der Sechzigerjahre eine Karriere als Musikerin erhofft. Zunächst stehen die Zeichen gut. Der gönnerhafte Jack (Matt Smith) eröffnet ihr die Welt der Nachtclubs und Bars. Doch seine Absichten sind keine guten und schon bald wird Sandy in einen Strudel furchtbarer Ereignisse hineingezogen…

Als maßgebliche Inspirationsquellen für seinen Neo-Noir-Horrortrip „Last Night in Soho“ nennt Regisseur und Autor Edgar Wright („Baby Driver“) die Genreklassiker „Wenn die Gondeln Trauer tragen“ und Roman Polanskis „Ekel“. Beide Filme zeichnen sich nicht nur durch ihren Fokus auf eine weibliche Hauptfigur aus (und wir alle wissen im Hinblick auf die Filmgeschichte: Das war in den Sechziger- und Siebzigerjahren nun wahrlich keine Selbstverständlichkeit), sondern auch durch ein Gefühl von Schock, Schauer und Beklemmung, das nicht auf klassische Horrormotive zurückzuführen ist, sondern auf ein diffuses Streuen von realitätsverrückenden Details, das die Atmosphäre sukzessive vergiftet. Für „Last Night in Soho“ geht Wright ähnlich vor und erinnert inszenatorisch obendrein an den ebenfalls in diesem Jahr gestarteten Female-Empowerment-Rundumschlag „Promising Young Woman“; einem der besten Filme 2021. Viel mehr sollte man über Wrights #MeToo-Beitrag übrigens gar nicht wissen, damit die Schläge in die Magengrube ihre volle Kraft entfalten können. Darum bat der Filmemacher übrigens auch auf dem Filmfestival von Venedig, wo „Last Night in Soho“ seine umjubelte Weltpremiere feierte.

„Last Night in Soho“ enthält die mit Abstand schockierendste Filmszene des Jahres. Und sie hat weder mit Blut, Dämonen oder irgendeinem stark platzierten Jumpscare zu tun, sondern offenbart eine völlig andere Form der Hölle, wenn er die vermeintlich schillernden Sechzigerjahre, in denen elegant gekleidete Showgirls mit ihren Balladen ihr Publikum bezirzten, mit einem Schlag entzaubert. Es sind nicht nur die emotional ausgemergelten Gesichter der gedemütigten, wie eine Aufziehpuppe staffierten und obendrein kaum bekleideten Tänzerinnen sowie die damit einhergehenden, geiernden Gesichter der widerlichen Männer, die sich dieses Spektakel ganz selbstverständlich anschauen, die einen mit voller Wucht treffen. Es ist vor allem der darauffolgende Blick hinter die Kulissen des renommierten Café de Paris, der die wahren Hintergründe dieser Entertainment-Maschinerie enttarnt. Und dieser verfolgt einen noch bis weit nach dem Film, weil sie einfach bewusstmachen, dass die weibliche Unterdrückung der Frau im Showgeschäft eben kein Phänomen der Gegenwart ist, sondern schon über viele Jahrzehnte existiert. Demgegenüber stehen in den Szenen im Hier und Heute Momente, die wohl jede Frau schon einmal erlebt hat. Symptomatisch ein Moment, in dem die von „Jojo Rabbit“-Star Thomasin McKenzie in einem Taxi von einem sich selbst als „Stalker“ bezeichneten Mann belästigt wird, der sie daraufhin nicht sofort aus dem Auto steigen lässt. Es ist also alles wie immer…

Thomasin McKenzie sagte für ihre mit Anya Taylor-Joy („Split“) geteilte Hauptrolle sogar ein Engagement in „Top Gun: Maverick“ ab – und diese Wahl könnte ihr, aber auch ihrer Kollegin, vielleicht sogar einen Oscar bescheren. Während es Edgar Wright und einmal mehr seinem hervorragenden Gespür für Audiovisualität und Schnitt zu verdanken ist, dass die beiden Damen im Laufe des Films buchstäblich miteinander verschmelzen (hervorzuheben sei an dieser Stelle eine Tanzszene zu Beginn des Films), sind Taylor-Joy und McKenzie die wahren Stars des Films. Ihre leidenschaftlichen, sich einander immer mehr angleichenden und doch voll und ganz Eigenständigkeit bewahrenden Performances reichen bis ins Mark und bringen ihrem Publikum die weibliche Ausbeutung, vor allem aber auch den Kampf dagegen auf empathische Weise näher. Selbst dann noch, wenn eine von beiden längst mit ihrem Schicksal abgeschlossen hat.

Im Gegensatz zu Ridley Scotts thematisch ähnlich angelegtem „The Last Duel“ (der seine Premiere ironischerweise ebenfalls in Venedig feierte), geht es in „Last Night in Soho“ nicht um das alleinige Veranschaulichen der Ungerechtigkeit. Und im Gegensatz zu „Promising Young Woman“ ist Wright auch nicht ausschließlich am Aufbegehren dagegen gelegen. Stattdessen geht es ihm darum, die Folgen von strukturiertem Sexismus zu zeigen; für die Frauen, aber eben auch für die Gesellschaft an sich. Das wird im letzten Drittel mitunter auch ein wenig redundant. Nämlich immer dann, wenn sich das ein wenig plumpe Motiv der Veranschaulichung („die Geister der Vergangenheit“ sind hier wortwörtlich zu verstehen) totläuft. Aber es verfehlt seine Wirkung genauso wenig wie das kontroverse Ende, das anders als „The Last Duel“ auf jedwede Political Correctness verzichtet – und damit wieder deutlich näher an „Promising Young Woman“ dran ist. Am besten ist wohl, man schaut sich diese beiden Filme direkt hintereinander an…

Antje Wessels