Lobster Soup – Das entspannteste Café der Welt

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Die sympathische, feinsinnig umgesetzte Dokumentation „Lobster Soup“ handelt von den Betreibern und Gästen eines der bekanntesten Cafés Islands: dem Bryggjan. Ein uriger Rückzugsort für alte Fischer, Melancholiker und in die Jahre gekommene (Überlebens-) Künstler. Doch die zunehmende Zahl an Touristen steht ebenso wie das Interesse gewinnorientierter Investoren für das mögliche Ende einer Ära. „Lobster Soup“ ist ebenso unkonventionell wie heiter, handelt im Kern aber vor allem von ernsten, nachdenklichen Themen wie Vergänglichkeit, Verdrängung und untergehenden Wirtschaftszweigen.

Website: https://www.24-bilder.de/

Island, Spanien, Litauen 2020
Regie: Pepe Andreu, Rafael Moles
Drehbuch: Pepe Andreu, Rafael Moles
Länge: 95 Minuten
Verleih: tba, Vertrieb: 24 Bilder
Kinostart: 14.10.2021

FILMKRITIK:

Die 3500-Seelen-Gemeidne Grindavík im Südwesten Islands lebt seit Jahrhunderten vom Fischfang. Bekannt in ganz Island ist der beschauliche Ort für seine Hummersuppe, die Besucher in dem Café Bryggjan bekommen. In dem Hafenschuppen erzählen sich die Besucher Geschichten und erklären sich die Welt Tag für Tag aufs Neue. Viele sind Stammgäste, doch seit Jahren steigt auch die Zahl der Touristen, um die berühmte Suppe zu kosten. Der Betreiber Krilli, der das Café einst mit seinem Bruder gründete, und seine Frau kommen langsam in die Jahre und sie überlegen sich, wie es weitergehen könnte. Da scheint das attraktive Angebot zweier Unternehmer aus dem unweit entfernten Reykjavík zur rechten Zeit zu kommen: Sie bieten Krilli an, das Bryggjan zu übernehmen.

Mit erstaunlicher Sensibilität und Intimität fangen die Regisseure Pepe Andreu und Rafael Moles das Leben außerhalb und vor allem innerhalb der gemütlichen Bar ein. Im Zentrum ihrer Beobachtungen stehen die Gründer und Betreiber: Krilli, der bis heute in der Küche für die Zubereitung der kulinarischen Köstlichkeiten zuständig ist. Und Bruder Alli, der die Gäste bei Laune hält und Kulturveranstaltungen organisiert. Denn auch das ist das Café Bryggjan: ein Ort für die Kunst, an dem kleine Jazzkonzerte, Lesungen und Poesie-Abende stattfinden.

Unaufdringlich und ohne Scheu lauschen die Filmemacher den Gesprächen, beobachten das Treiben und porträtieren ganz beiläufig die Lebenswege sowie Biographien einiger der kauzigen Stammgäste. Darunter alte Fischer, ein Autor und derjenige Übersetzer, der Miguel de Cervantes Ritterroman „Don Quichotte“ ins Isländische übertrug. Diese verschrobenen, oft eher schweigsamen Charaktere passen wunderbar in die urtümliche Lokalität, deren Inneneinrichtung eine Hommage an die Kunst des Fischfangs und die Geschichte der Seefahrerei darstellt: es gibt riesige Steuerräder, an den Wänden hängen Landkarten und eindrucksvolle Bilder historischer Schiffe und von der Decke baumeln Netze mit typischen Fischerei-Utensilien.

Angenehm ist, dass sich Andreu und Moles stets zurückhalten und gewähren lassen. Als stille Beobachter aus dem Hintergrund dokumentieren sie die entschleunigten Vorgänge und alltäglichen Abläufe in dem Café, die dennoch einen besonderen Reiz beim Zusehen ausüben. Und es gelingt ihnen eine vertrauensvolle Bindung zu den Brüdern aufzubauen, die aus ihrem Leben und von der Entstehung des Cafés erzählen, und: von ihren Sorgen und Zukunftsängsten. Vor allem wenn es das Café, das für viele Menschen im Ort zum Lebensinhalt geworden ist, irgendwann nicht mehr gibt. Denn die Investoren sind dank der Trip-Advisor-Bewertungen und über 900-Fünf-Sterne-Rezensionen auf Google längst auf den Ort und sein bekanntes Café aufmerksam geworden.

Die Thematik der Vergänglichkeit zieht sich wie ein roter Faden durch den gesamten Film. Da ist das allmählich aussterbende Gewerbe der traditionellen Fischerei, das vom industriellen Fischfang verdrängt wird. Oder die große Tafel in der Bar, auf der die Infos zum größten innerhalb eines Jahres gefangenen Fischs festgehalten sind. Doch dieser Wettbewerb unter den Fischern findet im Café Bryggjan schon lange nicht mehr statt. Das war noch vor der Fischfangquote. Und da gibt es natürlich die vielen Touristen, die Hektik in das entspannte, ruhige Treiben bringen. Sie strömen aus dem benachbarten Thermalfreibad Blaue Lagune (eine der beliebtesten touristischen Attraktionen des Landes) herbei und stehen stellvertretend für das langsame Verdrängen des Ursprünglichen und Althergebrachten.

Björn Schneider