Maixabel – Eine Geschichte von Liebe, Zorn und Hoffnung

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Ein kraftvolles, sensibles Drama über Schuld und Vergebung – nach einer wahren Geschichte. Icíar Bollaín (u. a. UND DANN DER REGEN, DER OLIVENBAUM – EL OLIVO) erzählt parallel von Maixabel, der Witwe eines bei einem Anschlag getöteten Politikers, und von dem verurteilten Mörder ihres Mannes, der sich mit Maixabel treffen will. Gleichzeitig erzählt der Film vom Ende der ETA, der baskischen Untergrundorganisation, die in Spanien seit den 1960er Jahren für zahlreiche Attentate mit vielen Toten verantwortlich war.
Icíar Bollaín überrascht einmal mehr das Kinopublikum, diesmal nach der leichten Komödie ROSAS HOCHZEIT wieder mit einer hoch anspruchsvollen Geschichte, die absolut unter die Haut geht, vielleicht auch, weil sie ohne jede Sentimentalität auskommt.

Spanien 2021
Regie: Icíar Bollaín
Drehbuch: Icíar Bollaín, Isa Campo
Darsteller: Blanca Portillo, Luis Tosar, María Cerezuela, Urko Olazabal, Tamara Canosa
Kamera: Javier Agirre Erauso
Musik: Alberto Iglesias
Länge: 115 Minuten
Start: 26. Mai 2022
Verleih: Piffl

FILMKRITIK:

Icíar Bollaíns Film spannt den Erzählbogen über ungefähr 10 Jahre: Er beginnt im Jahr 2000 mit dem Attentat auf den Lokalpolitiker Juan Maria Jauregui. Zwei Männer treten im Restaurant hinter ihn und schießen ihm in den Hinterkopf. Als bei ihr zu Hause das Telefon lange und ausdauernd klingelt, während sie sich die Haare föhnt, ahnt Maixabel Böses. Ihr Mann, der Vater ihrer Tochter Maria, ein ehemaliger sozialistischer Zivilgouverneur, der keine Leibwächter wollte, stirbt im Krankenhaus. Seine Mörder werden bald darauf gefasst und zu hohen Freiheitsstrafen verurteilt.

10 Jahre später ist der Gedenkstein oben in den Bergen halb zerstört. Maixabel arbeitet für eine Organisation, die Opfer und Hinterbliebene von ETA-Anschlägen unterstützt. Ihre Tochter ist erwachsen und hat selbst ein Kind. Ibon sitzt im Hochsicherheitstrakt eines Spezialgefängnisses für ETA-Mitglieder im Baskenland. Inzwischen haben praktisch alle Inhaftierten der ETA abgeschworen, auch Ibon. Eine junge Mediatorin macht den Gefangenen einen Vorschlag: Sie könnten ihre Strafe verkürzen, wenn sie von sich aus bereit wären, eines ihrer Opfer zu treffen, um diese Weise ihre Bereitschaft zur Versöhnung zu zeigen. Eine persönliche Entscheidung, die jeder für sich allein treffen muss. Ibon ist einverstanden. Doch als Maixabel sich dafür entscheidet, ins Gefängnis zu fahren, sieht sie sich überall von Unverständnis umgeben. Niemand versteht, nicht einmal Maria, ihre Tochter, dass Maixabel für sich selbst einen Abschluss finden möchte – ähnlich wie Ibon, nur auf der anderen Seite.

Der Film ist absolut erstaunlich: Er enthält sich jeder Sentimentalität und geht dennoch tief unter die Haut. Trotz oder vielleicht gerade wegen seines gewichtigen und anspruchsvollen Themas findet er zu einer differenzierten, beinahe pragmatischen Erzählweise; lediglich die dramatische Musik unterstreicht ab und an die Tragik der Handlung: die Geschichte der Separatistenorganisation ETA. Viele Jahre lang kämpften die Mitglieder für ihre Unabhängigkeit von Spanien, Gewalt führte zu Gegengewalt. Auf beiden Seiten wurde gelitten, Mütter und Väter verloren ihre Kinder, und viele Familien wollten schon lange nichts mehr mit der ETA zu tun haben, beugten sich aber dem Diktat der Terroristen. Worthülsen und erlernte Floskeln ersetzten den politischen Diskurs. Attentate und Morde wurden zu heroischen Taten verherrlicht – auch Ibon hätte geschossen, auch Ibon hatte Menschenleben auf dem Gewissen. Maixabel will dem ein Ende setzen, erst einmal für sich selbst. Mit ihrer Haltung bringt sie sich selbst in Gefahr, aber sie hat nichts zu verlieren und kann eigentlich nur gewinnen. Am Ende wird die ETA die Waffen endgültig niederlegen – ein zurückhaltend optimistischer Schluss sorgt am Ende für eine versöhnliche Stimmung und für eine Einsicht: Hier geht es nicht nur um die ETA und Spanien, das ist kein Regionalkonflikt und schon gar kein abgeschlossenes Kapitel. Hier geht es generell um die Beziehungen zwischen Menschen, Nachbarn, Religionen, Sprachen, Staaten und Ideologien auf der ganzen Welt.

Was für ein Gefühl muss es sein, dem Mörder eines Menschen gegenüberzusitzen, den man geliebt hat? Und was empfindet jemand, der mit der Witwe des Mannes spricht, den er ermordet hat? Wie viel Überwindung muss es beide Beteiligte kosten, auch nur einander gegenüberzutreten? – Das Zauberwort heißt Kommunikation. Miteinander sprechen, vielleicht verstehen lernen oder wenigstens zuhören … Was Maixabel und der ETA-Attentäter Ibon mit sich herumtragen, lässt sich weder leugnen noch ungeschehen machen und erlaubt kein Vergessen. Icíar Bollaín erforscht ihre Protagonisten bis in alle Einzelheiten, sie belehrt nicht und enthält sich jeder moralischen Wertung. Sie zeigt Maixabels Trauer, ihren Mut, einfach weiterzumachen, aber auch ihre Verlorenheit. Blanca Portillo spielt sehr zurückhaltend, beinahe spröde: Maixabel ist eine früh gealterte, würdevolle Frau, deren Nervosität nur an den unruhigen Händen sichtbar wird. Nur selten geht sie aus sich heraus. Wenn sie in einer Szene des Films allein den Strand entlangläuft und ihre Bodyguards hinter ihr her trotten, dann ist das ein Symbol für ihre Einsamkeit, die vielleicht noch schlimmer ist als Ablehnung oder Bedrohung. Luis Tosar spielt den Ibon, einen knorrigen, schweigsamen Kerl, der vielleicht eher fühlt, als dass er ausdrücken kann, wie unglücklich er ist. Jedoch geht es hier nicht um Befindlichkeiten, sondern die zentrale Frage ist, ob es Vergebung geben kann, wo es Reue gibt.

 

Gaby Sikorski