Mein Name ist Violeta

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Im Alter von sechs Jahren gestand Ignacio seinen Eltern: „Ich bin ein Mädchen und mein Name ist Violeta“. Nach anfänglichem Zögern fingen die Eltern an, Violeta auf ihrem steinigen Weg zu Selbstbestimmung, zur eigenen Identität und im Kampf gegen Diskriminierung zu unterstützen. Die spanische Doku „Mein Name ist Violeta“ berichtet aus dem Alltag der Familie, schildet die rechtlichen und medizinischen Herausforderungen und lässt andere Betroffene zu Wort kommen. Ein wichtiges filmisches Plädoyer für eine informierte, aufgeschlossene und diverse Gesellschaft.

Webseite: https://www.wfilm.de/mein-name-ist-violeta/

Spanien 2019
Regie: David Fernández de Castro, Marc Parramon
Drehbuch: David Fernández de Castro

Länge: 73 Minuten
Kinostart: 30.06.2022
Verleih: W-Film

FILMKRITIK:

Wie können Eltern damit umgehen, wenn ihr Kind sich als transsexuell outet? Die Dokumentation „Mein Name ist Violeta“ stellt genau diese Frage und erzählt die Geschichte der 11-jährigen Violeta, die als Junge auf die Welt kam. Schon früh bezeichnete und kleidete sie sich wie selbstverständlich wie ein Mädchen. Zunächst waren die Eltern verwirrt, doch nach und nach wuchs das Verständnis für Violetas schwierige Situation. Und es zeigte sich, dass es viele andere Menschen mit ähnlichen Erfahrungen gibt. Und so begannen sie, Violeta bei der Entfaltung ihrer wahren Geschlechtsidentität zu unterstützen.

Die Filmemacher David Fernández de Castro und Marc Parramon wählen für ihre beachtliche, wichtige Doku „Mein Name ist Violeta“ einen erfrischenden Ansatz und setzen auf kreative Ideen und Inszenierungsansätze. Das zeigt sich schon zu Anfang, als Kinder im Alter von etwa fünf bis zehn Jahren danach befragt werden, was eigentlich einen Jungen oder Mädchen ausmacht. Was ist typisch männlich, was weiblich und wie nehmen wir unser eigenes Geschlecht war? Die Kinder setzen sich erstaunlich reflektiert mit diesen doch sehr komplexen Fragen auseinander und gehen spielerisch an die Thematik heran – auch weil sie die Möglichkeit erhalten, in andere Rollen zu schlüpfen.

Die Jungs probieren Kleider an und setzen sich Perücken auf, die Mädchen schlüpfen in die „Rolle“ eines Jungen. Die Kinder dürfen experimentieren und kreativ sein. Und fühlen sich in diesen neuen Rollen durchaus wohl. Die Botschaft ist ebenso klar wie hintersinnig und genau richtig: Ein klar und eindeutig abzugrenzendes „männlich“ und „weiblich“ gibt es nicht immer. Das Leben ist nicht schwarz-weiß, es ist vielfältig und bunt – und genauso sind wir Menschen sowie die Art und Weise wie wir uns wahrnehmen und definieren. Die im Zentrum des Films stehende Violeta merkt bereits im Kleinkindalter dass das Geschlecht, mit dem sie auf die Welt kam, nicht zu ihrer wahrgenommenen Identität und ihrer geschlechtlichen Selbstdefinition passt.

Welche Steine die Behörden und vor allem die Gesellschaft Violeta und ihren Eltern in den Weg legen, zeigt die Doku ungeschönt und nachdrücklich. Allein der Kampf darum, Violetas Namen und tatsächliches Geschlecht endlich im Personalausweis stehen zu haben, zieht sich über Jahre und zeigt einen zermürbenden Kampf gegen rückständige Richter, antiquiert anmutende Behörden und uninformierte, intolerante Personen, die letztlich aber die wichtigen Entscheidungen über neue Pässe und behördliche Regeln aller Art treffen. Doch der Film gibt auch Hoffnung. Am Ende zeigt sich: Wer beharrlich und hartnäckig bleibt und den Kampf um Selbstbestimmung und gesellschaftliche Akzeptanz, selbstverständlich mit der Hilfe anderer, unentwegt fortsetzt, der kann am Ende Erfolg haben.

„Mein Name ist Violeta“ lebt nicht zuletzt von den direkten, offenen Äußerungen von Violetas Eltern, die ihre eigenen, anfänglichen Vorurteile und Vorbehalte nicht verschweigen. Ebenso bewegend wie aufschlussreich sind die Schilderungen anderer „Betroffener“, die ihren zum Teil jahrzehntelangen Einsatz für Vielfalt und Gleichstellung schildern. Darunter zwei Transfrauen, die die gesellschaftliche Ächtung, Ausgrenzung und Gewalt, die in den 70er- und 80er-Jahren gegenüber nicht der Norm entsprechender Menschen noch extrem vorherrschend waren, zu spüren bekamen – und als psychisch schwer krank diagnostiziert sowie mit harten Gefängnisstrafen belegt wurden.

Wenn man dann die kaum zu ertragenden Schilderungen einer Mutter hört, deren Sohn, der als Mädchen auf die Welt kam, sich aufgrund von Mobbing und Gewalt in der Schule vor wenigen Jahren das Leben nahm, dann zeigt sich aber auch: Allzu viel hat sich in Sachen Toleranz, Vorurteilsbekämpfung und Offenheit in dieser Gesellschaft in den letzten 50 Jahren scheinbar doch nicht getan.

 

Björn Schneider


Am Anfang steht ein Casting: Es wird ein Junge oder ein Mädchen für die Rolle der Violeta gesucht. Die Kinder, alle ungefähr im Alter zwischen acht und elf Jahren, sollen etwas über sich erzählen, und dabei geht es auch und vor allem um ihr Selbstverständnis: Fühlen sie sich als Junge oder als Mädchen? Und woher weiß man das? – Ein Kind sagt: „Weil ich es dir sage.“ Und damit trifft es eigentlich verblüffend genau den Kern des Ganzen. Denn wer bestimmt eigentlich, ob ein Kind Junge oder Mädchen ist?

Als Baby hieß Violeta Ignacio – wie der Vater – und wurde ebenfalls wie er Nacho genannt. Es dauerte nicht lange, und Franceska, die Mutter, erkannte, dass ihr Kind ungewöhnlich war: Schon früh trug Nacho am liebsten Mädchenkleider und bezeichnete sich selbst als Mädchen. Während Franceska damit sehr gelassen umgehen konnte, stellte sich die Entwicklung für Vater Nacho deutlich schwieriger dar. Schließlich kam der Tag, als das Kind seinen Eltern eröffnete: „Mein Name ist Violeta“, und darauf bestand, von nun an so angesprochen zu werden. Die Violeta von heute ist 11 Jahre alt, und gemeinsam mit ihren Eltern ist sie dabei, die sozialen und medizinischen Herausforderungen zu bewältigen, die auf sie zukommen. Dabei kann sie sich hundertprozentig auf Franceska und Nacho verlassen, die Violeta darin unterstützen, ihre Identität zu entfalten.

Obwohl Violeta und ihre Eltern im Mittelpunkt der Handlung dieses eher kleinen Dokumentarfilms stehen, geht es auch um das Problem der Transsexualität von Kindern allgemein und ihrer besonderen Situation in Spanien, die mit einer noch immer sehr rigiden Gesetzgebung zusammenhängt. Zudem haben nicht alle Kinder, die Violetas Schicksal teilen, das Glück, verständnisvolle Eltern zu haben oder in einem toleranten Umfeld aufzuwachsen. Besonders ergreifend ist die Geschichte von Alan, der sich im Alter von 17 Jahren das Leben nahm. Er konnte die Diskriminierung und das ständige Mobbing durch seine Altersgenossen nicht mehr ertragen. Alans Mutter Esther kämpft heute gemeinsam mit vielen anderen Betroffenen für die Rechte von Transpersonen in Spanien. Viele weitere Transpersonen kommen neben Violeta und ihren Eltern zu Wort, und das Verdienst der beiden Filmemacher ist es nicht nur, ihnen allen eine Stimme zu geben, sondern sie – jenseits jeder Sensationshascherei – ernst zu nehmen, ihnen zuzuhören und sie einfach sprechen zu lassen. Da ist Carla, die erste Trans-Person im spanischen Parlament, die von sich selbst sagt, dass sie zuerst für sich selbst gekämpft hat und dann für eine ganze Gruppe. Wie ihr geht es den meisten anderen: Sie alle müssen sich ständig gegen Ressentiments und Vorurteile zur Wehr setzen, auch Violeta, die mit einem Anflug von Humor davon spricht, dass man sie früher gemobbt hat, weil sie sich wie ein Mädchen benommen hat, und heute dafür, dass sie als Mädchen lebt.

Über Interviewsituationen und Alltagsbilder, über Sequenzen, die in ihrer Farbigkeit an Träume erinnern, und über viele kurze Spielszenen kehren die beiden Filmemacher immer wieder zu dem Castingdreh am Anfang zurück. Diese kaleidoskopartige Gestaltung hat einen tieferen Hintergrund, denn das Gesicht der echten Violeta wird, mit Rücksicht auf das Kind, niemals vollständig gezeigt. David Fernández de Castro und Marc Parramon versuchen aus dieser Situation das Beste zu machen. Sie schaffen eine visuelle Vielfalt, die vor allem eines zeigt: Violeta ist mit ihrem Schicksal nicht allein.

 

Gaby Sikorski