Nightmare Alley

Zum Vergrößern klicken

Wenn Schauerlegende Guillermo del Toro einen Film ankündigt, der „Nightmare Alley“ heißt, vermuten dahinter sicherlich nicht wenige einen waschechten Horrorfilm. Nun, in einer gewissen Weise ist die im Film erzählte Story tatsächlich „Horror“. Doch wer die gleichnamige Vorlage aus den Vierzigerjahren sowie die dazugehörige erste Verfilmung kennt, der weiß: Unbehagen generiert sich hier nicht aus Monstern und Dämonen, sondern aus den Abgründen der menschlichen Existenz.

Website: www.searchlightpictures.com/nightmarealley/

USA/MEX 2021
Regie: Guillermo del Toro
Darsteller:innen: Bradley Cooper, Cate Blanchett, Toni Collette, Rooney Mara, Willem Dafoe, Richard Jenkins, Ron Perlman
Verleih: 20th Century Studios / Searchlight Pictures
Länge: 150 min
Start: 20. Januar 2022

FILMKRITIK:

Amerika in einer nicht näher definierten Vergangenheit. Zu Zeiten, als Jahrmärkte noch mit der Zurschaustellung von „Freaks“ ihr Publikum zu begeistern versuchten. Genau zu dieser Zeit zieht es den ehrgeizigen Stanton Carlisle (Bradley Cooper) zu einer Gruppe von Schaustellerinnen und Schaustellern, angeführt von dem rigorosen Clem Hoatley (Willem Dafoe). Dieser präsentiert seinem neuesten Mitglied ganz stolz einen gefangenen, halb verhungerten Mann, der sich tagtäglich dafür begaffen und beklatschen lassen muss, dass er infolge immensen Hungers lebendige Hühner verspeist und dadurch als eine Art „menschliches Monster“ beworben wird. Viel interessanter als diese menschenunwürdige „Attraktion“ findet Stanton allerdings die charmante Molly (Rooney Mara). Genauso wie die „Mentalistin“ Zeena (Toni Collette), in deren Fußstapfen er nach einem tragischen Schicksalsschlag tritt. Doch die Auftritte mit dem Jahrmarkt genügen ihm nicht. Gemeinsam mit Molly zieht er in die Großstadt und macht sich dort als Mentalist einen Namen. Daraufhin wird die resolute Psychiaterin Dr. Lilith Ritter (Cate Blanchett) auf ihn aufmerksam. Und diese hat ganz spezielle Pläne mit ihrem gutaussehenden, neuen Patienten…

Im Jahr 1946 veröffentlichte der Schriftsteller William Lindsay Gresham seinen Debütroman „Nightmare Alley“, der im Deutschen unter dem Titel „Der Scharlatan“ erschient. Nicht einmal ein Jahr später inszenierte der zum damaligen Zeitpunkt für Filme wie „Love“ (1927) und „Grand Hotel“ (1932) bekannte Regisseur Edmund Goulding einen gleichnamigen Film Noir, basierend auf ebendieser Geschichte, in der Superstar Tyrone Power die Hauptrolle des Stanton Carlisle übernahm. Auch Guillermo del Toro („Pans Labyrinth“) präsentiert im Zentrum seines neuesten Films einen absoluten Hollywood-A-Ligisten; noch dazu einen verdammt gutaussehenden. Bradley Cooper („A Star is Born“) verkörpert „seinen“ Stanton Carlisle noch mehr als sein Vorgänger als verführerischen, gleichermaßen aber auch selbst verführten Scharlatan, der, angezogen vom schnellen Ruhm, in düstere Gefilde eintaucht, eigene Prinzipien über Bord schmeißt und am Ende zu jener Art Mensch wird, die er zuvor noch verachtet hat. „Nightmare Alley“ ist eine rückwärts aufgezogene „Vom Tellerwäscher zum Millionär“-Geschichte und erzählt unter Zuhilfenahme diverser Gruselfilm-Motive von einem radikalen Absturz, der letztlich viel interessanter ist, als die vielen inszenatorischen Sperenzchen, mit denen del Toro eigentlich nur Effekthascherei betreibt.

„Nightmare Alley“ ist deutlich näher an jüngeren Del-Toro-Filmen wie „Crimson Peak“ oder „Shape of Water“ zu verorten, als an seinem früheren Schaffen wie „Das Rückgrat des Teufels“. Zwar war Del Toro selbst bei seinen Horrorstücken nie der Mann für den schnellen Jumpscare, doch trotz einer allgegenwertigen, düsteren Atmosphäre geht es ihm in „Nightmare Alley“ nie darum, gezielt Angst zu schüren. Stattdessen stehen zu jedem Zeitpunkt die Menschen und ihre Beweggründe im Vordergrund, ein Vagabundenleben zu leben sowie mit Scharlatanerie ihr Geld zu verdienen. Und dass auch Stanton Carlisle seines Charmes zum Trotz ein ebensolcher Scharlatan ist, steht schon allein aufgrund des dem Film zugrundeliegenden Romantitels nie außer Zweifel.

Insbesondere vor dem Hintergrund des Jahrmarktes, oder besser: der Freakshow, in der Menschen mit körperlichen Anomalien als Attraktion ausgestellt werden, kommt dieser Kontrast zwischen dem verführerischen Stanton, der Großes vorhat und schon allen äußerlich auch dazu imstande ist, und seinem heruntergekommenen Umfeld besonders zur Geltung. Daher ist auch die erste Hälfte von „Nightmare Alley“ klar die Bessere der äußerst üppig bemessenen zweieinhalb Filmstunden. Sobald er und seine Geliebte nämlich beginnen, sich in der Großstadt allein durchzuschlagen und schließlich auch auf die attraktive Psychologin Dr. Lilith Ritter treffen, ist ein wenig die Luft raus. Del Toro wendet zu viel Zeit für Nebensächlichkeiten auf, streut immer wieder Details ein, die für das große Ganze jedoch kaum von Bedeutung sind, während sehr wohl relevante Dinge wiederum bloß angerissen werden. „Nightmare Alley“ springt dadurch zwischen langatmig und gehetzt hin und her, was sich insbesondere im sehr zügig vonstattengehenden Finale bemerkbar macht. Da lässt sich dann auch die von Beginn an permanent im Raum schwebende Doppelbödigkeit ihrer Figur, die Cate Blanchett („Blue Jasmine“) ganz hervorragend transportiert, nicht richtig würdigen. In der rauschhaften Inszenierung schwelgen, lässt es sich trotzdem verdammt gut.

Antje Wessels