Onoda – 10.000 Nächte im Dschungel

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Japanische Soldaten, die Jahrzehnte nach Ende des Zweiten Weltkriegs noch weiterkämpfen: Eine von Mythen umrankte, aber tatsächlich wahre Geschichte, die in „Onoda – 10.000 Nächte im Dschungel“ in großer Ausführlichkeit erzählt wird. Reich an Atmosphäre ist Arthur Hararis Film, der 2021 in Cannes als Eröffnungsfilm der Nebenreihe Un Certain Regard lief, aber etwas dünn an Substanz.

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Onoda, 10 000 nuits dans la jungle
Frankreich, Japan, u.a. 2021
Regie: Arthur Harari
Buch: Arthur Harari & Vincent Poymiro
Darsteller: Yuya Endo, Yuya Matsuura, Shinsuke Kato, Kanji Tsuda, Tetsuya Chiba, Kai Inowaki, Issei Ogata
Länge: 165 Minuten
Verleih: Rapid Eye Movies
Kinostart: 02.06.2022

FILMKRITIK:

Der Fanatismus, den japanische Soldaten während des Zweiten Weltkriegs zeigten, ist vielfach beschrieben worden: Von den Sturzkampfbombern, mit denen sich Piloten mit Harakiri!-Rufen auf feindliche Schiffe stürzten, bis hin zum Kampf bis zum wortwörtlich letzten Mann, mit dem jede der besetzten Inseln im Pazifik verteidigt wurde. In dieser Reihe darf eine fraglos bemerkenswerte, nun, Leistung nicht fehlen: Versprengte japanische Soldaten, die auch Jahre nach Ende des Krieges im Pazifik im August 1945 weiterkämpften, sich Jahre, ja, Jahrzehntelang in Guerilla-Manier im Dschungel verschanzten.

Was sich einerseits absurd anhört, ist andererseits durchaus nachvollziehbar, zumindest im Ansatz. Sich zu ergeben kommt ohnehin nicht in Frage, ohne Funkkontakt, mitten in feindlichem Gebiet ist es kaum möglich an verlässliche Informationen zu kommen, daher wird lieber weitergekämpft, als sich unehrenhaft zu verhalten. Genau so dachte Hiroo Onoda, der zudem nicht einfach nur Soldat war, sondern Nachrichtenoffizier und somit besonders anfällig für Paranoia. Zusammen mit anfangs drei anderen Soldaten fand er sich 1945 auf der philippinischen Insel Lubang wieder, hörte auch bald nach Friedensschluss vom Ende des Krieges, hielt diese Nachrichten jedoch für feindliche Propaganda. Und so hielt sich Onoda bis 1974 im Dschungel versteckt, überfiel Dörfer, sorgte mit gelegentlichen Guerilla-Attacken und dem Verbrennen von Feldern für Schrecken und ergab sich erst, als sein alter Kommandant persönlich auf die Insel reiste und ihn zum Aufgeben überredete.

Warum dies erst 1974 geschah, also sagenhafte 29 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs, ist eine der vielen Fragen, die sich im Laufe von „Onoda – 10.000 Nächte im Dschungel“ stellen. Doch der französische Regisseur Arthur Harari verzichtet fast vollständig auf Kontext oder gar psychologische Erklärungen in das von außen und besonders aus westlicher Sicht seltsam anmutende Verhalten seiner Hauptfigur. Stattdessen zeigt er das Leben von Hiroo Onoda (als junger Mann gespielt von Yuya Endo, später von Kanji Tsuda) in fast dokumentarischer Manier und Ausführlichkeit.

Fast am Ende der 10.000 Tage setzt der Film ein, springt dann weit in die Vergangenheit zurück, zeigt Onodas gescheiterte Versuche, Pilot zu werden, vor allem aber sein Verhältnis zu seinem Offizier, der in ihm das Gefühl von unbedingtem, bedingungslosen Gehorsam weckt.
In losen, elliptisch erzählten Episoden, beschreibt Harari nun die vielen Jahre, die Onoda im Dschungel verbringt, anfangs noch mit seinen Kameraden, später allein. Als Studie in Ausdauer mag man das verstehen, als Film über eine extreme Haltung, die den allermeisten Menschen als vollkommen absurd erscheinen mag, aber gerade dadurch auch eine gewisse Schönheit hat.

Dass in keiner Weise versucht wird, Onodas Haltung zu verstehen, auch nicht ansatzweise auf die japanische Philosophie des Bushido eingegangen wird, die zwar im Westen auf Grund ihrer Stoik oft für Bewunderung gesorgt hat, aber auch Mitursache für viele der Gräuel, die Japan während des Zweiten Weltkriegs verübte, bleibt eine Lücke. Zumal diese dramaturgische Entscheidung bedeutet, dass Hararis Film ausschließlich über Beobachtung funktioniert, ausschließlich über die oft minutiöse Darstellung von Onodas Leben im Dschungel. Und das ist trotz sporadischer Begegnungen mit Einheimischen oder Konflikten mit seinen Kameraden, doch vor allem ereignislos. Wie 10.000 Nächte fühlen sich die 165 Minuten zwar nicht an, ein Gefühl für langsam vergehende Zeit bekommt man im Laufe von Arthur Hararis vor allem thematisch interessantem Film dennoch.

Michael Meyns