Rimini

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An Sonne, Strand und Meer mag man beim Namen „Rimini“ nennen, doch wenn ein Film dieses Namens von Ulrich Seidl stammt, liegt das italienische Strandbad im Nebel, ist winterlich verlassen und die Heimat eines abgehalfterten Schlagersängers. Eine typische Seidl-Gestalt ist dieser Richi Bravo, doch wie er im Lauf der Geschichte eine gewisse Nähe zu seiner Familie aufbaut, zeigt den österreichischen Extremfilmer in fast altersmilder Stimmung.

Österreich/ Frankreich/ Deutschland 2022
Regie: Ulrich Seidl
Buch: Ulrich Seidl & Veronika Franz
Darsteller: Michael Thomas, Tessa Göttlicher, Hans-Michael Rehberg, Inge Maux, Claudia Martini, Georg Friedrich
Länge: 114 Minuten
Verleih: Neue Visionen
Kinostart: 6. Oktober 2022

FILMKRITIK:

In einem Altersheim in Österreich beginnt „Rimini“, der neue Film von Ulrich Seidl. Nach dem Tod der Mutter wird der Vater (Hans-Michael Rehberg in einer seiner letzten Rollen, er verstarb während der Dreharbeiten) von seinen beiden Söhnen hier einquartiert. Während Ewald (Georg Friedrich) noch im Elternhaus lebt, kommt Richi Bravo (Michael Thomas) aus seiner italienischen Wahlheimat angereist. Doch nach einem kurzen Blick in das Kinderzimmer, das offenbar seit seinem Auszug unberührt ist, geht es zurück über den Brenner, nach Rimini.

Dort hat sich der einst bekannte Schlagersänger ein neues Leben aufgebaut, eines jedoch, das ebenso verfallen ist, wie sein mächtiger Körper. In der Wintersaison, wenn die meisten Hotels und Restaurants des italienischen Seebades geschlossen sind, tritt Richi Bravo vor einem Publikum auf Kaffeefahrt auf. In Reisebussen kommen Männer und vor allem Frauen, die noch älter sind als Richi selbst, für ein, zwei Tage nach Rimini und lauschen den Schlagern ihres Idols.

Sie hängen an seinen Lippen, bewundern seine glitzernden Anzüge, die selbst dem späten Elvis zu peinlich gewesen wären – und manche von ihnen besucht Richi dann noch auf dem Hotelzimmer. Als Gigolo verdient er sich ein Zubrot, macht aus der geradezu verzweifelten Begierde seiner weiblichen Fans ein Geschäft und finanziert so sein Leben.

Und dann steht eines Tages Tessa (Tessa Göttlicher) vor Richie, seine Tochter, deren Mutter er vor Jahren verlassen hat. Nichts anderes als Geld will Tessa, die zum Unwillen Richis auch noch einen arabischen Freund hat, doch dann geschieht seltsames: Beim Versuch, dass Geld zusammenzubekommen, entwickelt Richi so etwas wie echte Gefühle für seine Nächsten. Während sein Vater im Altersheim dahinsiecht und seltsame Erinnerungen an seine NS-Vergangenheit hat, versucht Richi tatsächlich, seiner Tochter Geld zu geben und so etwas wie eine Beziehung zu ihr aufzubauen.

Viele Elemente von „Rimini“ sind aus dem Werk Seidls bekannt, von Formen der Prostitution bis hin zum Verhältnis von Einheimischen und Migranten und doch mutet der neue Spielfilm des Österreichers anders an als frühere Werke. Eine gewisse Altersmilde scheint sich breit zu machen, wie man sie auch in „Vernichten“ dem neuen (und vielleicht letzten) Roman von Michel Houllebecq feststellen kann. Auf ähnliche Weise haben beide Autoren sich den emotionalen und nicht zuletzt sexuellen Abgründen unserer Zeit gewidmet, haben mit ihren harschen Schonungslosigkeit schockiert, manchmal vielleicht auch bewusst und plakativ provoziert.

Lange wirkt „Rimini“ so wie ein typischer Seidl, voller wenig sympathischer Menschen, ausgeleuchteter Fettpolster, betont unerotischem Sex, gesellschaftlicher Abgründe. Doch wenn Richi Bravo zwischen dem Tod seines Vaters und den Begegnungen mit seiner Tochter realisiert, dass auch er keine Insel ist, gönnt sich Seidl und seinen Figuren ein ungekanntes Maß an Empathie.

 

Michael Meyns