Schlachthäuser der Moderne

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Ein assoziatives Geflecht aus Architektur und Faschismus, Moderne und Kolonialismus spinnt der deutsche Filmemacher Heinz Emigholz in seinem dokumentarischen Essayfilm „Schlachthäuser der Moderne.“ In Bolivien, Argentinien und Berlin gedreht verbindet Emigholz seine typische, formal strenge Darstellung architektonischer Formen mit einem komplexen Kommentar, einem neuen Element seiner Arbeit.

Deutschland 2022
Regie & Buch: Heinz Emigholz
Dokumentarfilm

Länge: 80 Minuten
Verleih: Filmgalerie 451
Kinostart: 19. Januar 2023

FILMKRITIK:

„Die revolutionären Erkenntnisse der theoretischen Physik zu Beginn des letzten Jahrhunderts, führten zu einer unumkehrbaren Erschütterung traditioneller Raumvorstellungen. Das hatte weitreichende Folgen für die Bereiche Architektur und Film.“ Mit diesen Sätzen beginnt Heinz Emigholz „Schlachthäuser der Moderne“, dazu sind Bilder von Architektur zu sehen, im weitesten Sinne: Straßen voller Schotter, unverputzte Steinelemente, Hundehütten, baufällige Konstrukte, Verfall, Armut.

Jahrelang hatte Heinz Emigholz unter dem Obertitel „Photographie & Jenseits“ Filme gedreht, die sich meist um das Werk eines Architekten drehten, dessen Werk in kurzen, starren, oft markant verkanteten Einstellungen vorgestellt wurde. Kommentare fehlten ebenso wie Musik oder andere stilistische Merkmale, ganz auf die Architektur und das Sehen waren die Filme konzentriert.

Vor zwei Jahren entstand dann der Film „Die letzte Stadt“, im weitesten Sinne ein Spielfilm, wenn auch ein sehr ungewöhnlicher. Akteure waren zu sehen, die oft sich selbst spielten und weniger Dialoge sprachen, als Thesen vorzutragen. Nun also „Schlachthäuser der Moderne“, in mancherlei Hinsicht eine Fortführung, denn auch hier sind Menschen zu sehen, teils tatsächlich Schauspieler, teils Architekten, die vor markanten Gebäuden – aber auch inmitten einer Ruinenlandschaft – stehen und analytische Sentenzen von sich geben.

In Berlin steht etwa der Architekt Arno Brandlhuber am Marx und Engels-Denkmal vis-a-vis des Berliner Schloss, einem der umstrittensten Bauten der Hauptstadt. Über fragwürdige Erinnerungskultur geht es hier, um den Wiederaufbau einer Reminiszenz an die Hohenzollern, den Kaiser, an einen Ort, von dem aus der Vernichtungsfeldzug gegen die Hereros und Namas in Namibia beschlossen wurde, einer der ersten Genozide der Geschichte, der zum Vorbild, zur Inspiration des Holocausts wurde.

Als Schlachthaus könnte man das Schloss also bezeichnen, auf der anderen Seite des Atlantiks, in Argentinien, zeigt Emigholz dann Schlachthäuser im wahrsten Sinne des Wortes: Um das wichtigste Exportgut Argentiniens, Rinder, zu verarbeiten, baute der Architekt Francisco Salamone in der Provinz Buenos Aires in den 30er Jahren zahllose Schlachthäuser, die architektonisch deutlich vom Art Deco inspiriert waren, wie es zu jener Zeit gerade im faschistischen Italien beliebt war.

Lose Bezüge stellt Emigholz zwischen Orten und Entwicklungen her, bietet unterschiedlichste  Bezüge an, mal offensichtlichere, mal verklausulierte. Deutlich politischer als frühere Arbeiten ist „Schlachthäuser der Moderne“ durch den Voice Over Kommentar, die Akteure, die unmittelbar zum Zuschauer sprechen. Visuell bleibt sich Emigholz jedoch treu, zeigt Architektur, neue und alte, verfallene Ruinen, markante Gebäude aus den 30er Jahren ebenso wie die bizarr anmutenden alten-neuen Formen des Berliner Stadtschlosses. Auch wenn die Verbindungslinien zwischen den Elementen nicht immer zwingend nachvollziehbar wirken, in ihrer verspielten, assoziativen Art, machen sie „Schlachthäuser der Moderne“ zu einem ungewöhnlichen, intellektuellen Vergnügen.

 

Michael Meyns