Schweigend steht der Wald

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Exzellente Spannung samt aufklärerischem Mehrwert bietet dieser Thriller von Saralisa Volm nach dem preisgekrönten Roman von Wolfram Fleischhauer. Die mysteriöse Story handelt von Schuld und Sühne, es geht um persönliche Verantwortung und politische Moral. Eine junge Forstpraktikantin macht geheimnisvolle Entdeckungen bei Untersuchungen in jenem Wald, in dem vor 20 Jahren ihr Vater spurlos verschwand. Die Dorfbewohner in der bayrischen Provinz reagieren auffallend misstrauisch auf die neugierige Fremde. Und was hat Franz-Josef Strauß mit der ganzen Sache zu tun? Die Auflösung am Schluss dürfte für viele überraschend ausfallen und allemal für Diskussionen sorgen.

Webseite: www.alpenrepublik.eu

Deutschland, 2022
Regie: Saralisa Volm
Darsteller: Henriette Confurius, Noah Saavedra, August Zirner, Robert Stadlober, Johanna Bitenbinder, Johannes Herrschmann
Filmlänge: 95 Minuten
Verleih: Alpenrepublik
Kinostart: Herbst 2022
FESTIVALS: Berlinale (Perspektive Deutsches Kino)

FILMKRITIK:

„Ein Gestörter ist immer verdächtig, oder?“, sagt der Polizist, der damals den geistig behinderten Xaver aus dem Verkehr gezogen hat. Jetzt, 20 Jahre später, steht jener Xaver vor der Forststudentin Anja (Henriette Confurius) im Wald und richtet ein Jagdgewehr auf sie. So unvermittelt diese bedrohliche Begegnung begann, so schnell geht sie vorüber. Wenig später wird Xaver bei einer erschlagenen Frau gefunden und in die geschlossene Abteilung einer psychiatrischen Klinik verbracht. Dort wird er fortan überwacht. Doch welche Überwachung wäre schon lückenlos perfekt?

Anja hat derweil andere Sorgen. Sie entdeckt bei ihren Kartierungsarbeiten untypische Erdbewegungen im Waldboden, für die sie keine Erklärung findet. Ihr wissenschaftlicher Betreuer reagiert mit Ignoranz, untersagt seiner Studentin mit Blick auf den Zeitplan alle weiteren Nachforschungen. Der einstige Dorfpolizist Dallmann (August Zirner) will gleichfalls die Recherchen beendet sehen, er allerdings hat dafür ganz andere Gründe. Dabei geht es ihm nicht nur um jenen einst spurlos verschollenen Vater der Studentin, sondern so manche im Dorf scheinen noch viel mehr Leichen im Keller zu haben. Polizistensohn Konrad (Robert Stadlober), der den Cop-Job weiterführt, weiß nicht so recht, wem er in diesem geheimnisvollen Fall noch trauen kann.

Auch der attraktive Rupert (Noah Saavedra), der in die Studentin verliebt ist, möchte deren Aktivitäten lieber heute als morgen beendet sehen. Er plant einen Märchenwald und sieht seine Investitionen durch mögliche Enthüllungen gefährdet. Doch Anja lässt sich nicht verunsichern, erst recht nicht, als sie entdeckt, dass bereits ihr Vater jenem grausamen Geheimnis auf der Spur war. Was damals ein geplanter Besuch des Ministerpräsidenten Franz-Josef Strauß mit der höchst mysteriösen Sache im Bayrischen Wald zu tun hatte? Nur so viel sei verraten: Es handelt sich um keine Verschwörungstheorie, sondern um dramatische Fakten der Wirklichkeit, die vielfach unbekannt sind.

Saralisa Volm, die mehrfach für Klaus Lemke vor der Kamera stand und als Produzentin von Henrik Stahlbergs „Fikkefucks“ auftrat, gelingt mit diesem Thriller ein souverän stilsicheres, atmosphärisch dichtes Regiedebüt. Als cleverer Schachzug erweist sich, dass das Drehbuch direkt aus der Feder des preisgekrönten Romanautoren Wolfram Fleischhauer stammt. Keiner kennt den Stoff schließlich besser als er, was bei einem heiklen Thema sich als durchaus sinnvoll erweist. Mit der angesagten Henriette Confurius („Tribes of Europa“) ist eine leinwandpräsente Heldin gefunden, welche souverän die Balance aus Neugier, Verunsicherung und Trotz beherrscht. Derweil ihr männlicher Gegenspieler Noah Saavedra mit glaubhafter Verzweiflung immer im emotionalen Chaos versinkt.

Mit dramaturgischem Geschick und visueller Raffinesse setzt Regisseurin Volm immer mehr Puzzle-Teile zum großen Bild zusammen. Was sich am Ende daraus ergibt, ist ein Gemälde des Grauens. Ein Abgrund deutscher Wirklichkeit, der lange verdrängt wurde. Und der allemal für Diskussionen sorgen dürfte.

 

Dieter Oßwald