Servus Papa, see you in Hell

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Eine kraftvolle Inszenierung, schillernd zwischen Happening, Gruppenterror und dem Aufstand der Kinder: Christopher Roth und Jeanne Tremsal werfen die Zerfallsphase der Otto-Mühl-Kommune dämonisch, aber auch voll jugendlicher Unschuld auf die Leinwand. Ihr Film nimmt die Perspektive einer 14-Jährigen ein, der gerade das schönste passiert, was es im Leben gibt. Sie hat sich verliebt. Und bringt sich paradoxerweise gerade damit in höchste Gefahr.

Webseite: www.port-prince.de/projekt/servus-papa-see-you-in-hell

Deutschland 2022
Regie: Christopher Roth
Drehbuch: Jeanne Tremsal, Christopher Roth
Darsteller: Jana McKinnon, Clemens Schick, Leo Altaras, Julia Hummer, Ina Paule Klink, Antonis Antoniadis

Länge: 116 Minuten
Verleih: Port au Prince
Starttermin: demnächst

FILMKRITIK:

Es beginnt mit einem Paukenschlag. „Selbstdarstellung“ heißt die gefürchtete Vollversammlung der Kommune. Menschen werden vor versammelter Mannschaft gedemütigt, andere kommen glimpflicher davon, die nächsten profitieren gar vom tänzerischen Ausdruck ihrer intimsten Emotionen. Heute jedoch haben Simone und Holger eine Todsünde zu verantworten. Sie sind dabei, romantische Gefühle füreinander zu entwickeln. Der Mann wird ausgestoßen, die Frau bekommt eine zweite Chance, denn sie hat ihn verpfiffen und das „Vergehen“ gemeldet.

Trotzdem liegt ihr Schicksal nun in der Hand von Otto (Clemens Schick), des dämonischen Herrschers über die Kommunarden. Er tritt hinter die Frau, umschlingt sie, schüttelt sie, schlägt sie. Otto verbreitet Angst und Schrecken. Er flüstert, skandiert, schreit, immer wieder ein einziges Wort: „wer“. Wer hat das verbrochen? Die Frau kauert am Boden, wie um sich zu schützen. Und dann sagt sie das rettende Wort: „Papa“ Die Väter sind an allem schuld: an den Gefühlen, der Abhängigkeit, dem Wunsch nach einer Liebesbeziehung.

Wer noch nie von dem österreichischen Aktionskünstler und Kommunegründer Otto Mühl (1925 bis 2013) gehört hat, fühlt sich auf einen anderen Stern versetzt. Die Regeln der Lebensgemeinschaft erscheinen aus heutiger Sicht absurd. Zimmer gibt es nur für Frauen, Männer müssen sich jede Nacht eine neue Partnerin suchen. Kinder werden von ihren Eltern getrennt, die in anderen Kommunen leben. Nur selten sind Besuche erlaubt. Der Grund für die widernatürlichen Vorschriften liegt in der Abscheu vor der Kleinfamilie. Nur wenn es gelinge, so die Ideologie, jegliche Form von Zweierbeziehung zu überwinden, könne es eine bessere, freiere Welt geben. In den 1970er und 1980er Jahren hatten Mühls Kommunen großen Zulauf. Bis der Gründer 1991 wegen Unzucht mit Minderjährigen zu sieben Jahren Haft verurteilt wurde.

Erzählt wird der Film von Christopher Roth („Baader“, 2002) aus der Perspektive von Jeanne Tremsal, die auch am Drehbuch mitgewirkt hat. Es ist ihre Geschichte. Jeanne, gespielt von Nachwuchsstar Jana McKinnon, wurde mit zwei Jahren von ihren Eltern in die Mühl-Kommune gegeben. Als der Film einsetzt, ist sie 14 und empfindet romantische Gefühle für den zwei Jahre älteren Jean (Leo Altaras) – ganz unschuldig und zärtlich, mit Schmetterlingen und Pferden in märchenhafter Natur. Damit wird klar: Bei aller Dämonie und Kritik an gebrochenen Freiheitsversprechen tendiert die energiegeladene Inszenierung nicht in erster Linie zu düsteren Horrorszenarien, sondern feiert zugleich die lichten Momente des Kommunelebens: das Tanzen, Malen sowie die Gemeinschaft der Kinder, denen das Leben auf dem Bauernhof als endloses Abenteuer erscheint.

Natürlich wollen Christopher Roth und Jeanne Tremsal den Kinderschänder Otto Mühl nicht im Nachhinein freisprechen, das wäre ja in Zeiten zahlreicher Missbrauchsskandale geradezu grotesk. Aber sie ruhen sich auch nicht auf einer besserwisserischen Abrechnung mit dem Totalitarismus der Sekte aus. Sie zeigen Otto Mühl als innerlich zerrissenen Menschen, als Teufel und Kümmerer in einer Person. Wichtiger noch: sie legen die Mechanismen offen, die Menschen wider besseres Wissen dazu bringen, wegzuschauen, wenn Verbrechen geschehen.

Damit leistet der Film zweierlei. Er lässt aus der Perspektive der Kinder die Sehnsüchte der damaligen, noch von den 68ern geprägten Zeit wieder aufleben. Und er verhandelt implizit Themen, die weiter aktuell sind: Wie Freiheitsbewegungen in totalitäre Strukturen umkippen; wie absolute Herrscher ihre Macht durch ein Geflecht von Abhängigkeiten absichern; und warum Menschen blind an Heilsversprechen selbsternannter Führer glauben.

Die „echte“ Jeanne Tremsal hat sich von all dem lösen können, ohne anhaltend Schaden zu nehmen. Sie ist Schauspielerin geworden und spielt nun in der fiktiven Aufarbeitung ihrer eigenen Geschichte mit: als Jeannes Mutter Mathilde. Die fiktive Jeanne sei sogar noch mutiger gezeichnet als die echte, sagt Regisseur Christopher Roth. Was so viel heißen will wie: Emanzipation, Gegenwehr und Protest sind möglich. Auf den Kindern und Jugendlichen ruht die Hoffnung. Nicht nur die des Films.

 

Peter Gutting