The French Dispatch

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Zu den zwei Dingen, die der amerikanische Regisseur Wes Anderson am meisten liebt gehört das Intellektuellenmagazin „The New Yorker“ und seine Wahlheimat Frankreich. Sein neuer Film „The French Dispatch“, der im Wettbewerb der Filmfestspiele von Cannes mit großer Begeisterung aufgenommen wurde, aber am Ende ohne Preis blieb, ist nun eine Hommage an beides – und ein in jeder Hinsicht typischer Anderson-Film.

Website: https://disney.de/filme

USA 2021
Regie: Wes Anderson
Buch: Wes Anderson, Jason Schwartzman, Roman Coppola, Hugo Guinness
Darsteller: Owen Wilson, Timothée Chalamet, Tilda Swinton, Adrien Brody, Léa Seydoux, Benicio Del Toro, Bill Murray, Elisabeth Moss, Saoirse Ronan, Edward Norton, Mathieu Amalric, Frances McDormand, Jeffrey Wright, Christoph Waltz
Länge: 103 Minuten
Verleih: Walt Disney
Kinostart: 21.10.2021

FILMKRITIK:

Wir schreiben das Jahr 1975. Vor 50 Jahren hat Arthur Howitzer Jr. (Bill Murray) im französischen Dorf Ennui-sur-Blasé – den French Dispatch gegründet, einen Ableger der Zeitung Liberty, Kansas Evening Star. Nun ist der Verleger verstorben und seine Mitarbeiter erinnern sich an drei Geschichten, die im Laufe der Zeit im Magazin erschienen sind.

In der ersten geht es um den Künstler Moses Rosenthaler (Benicio Del Toro), der im Gefängnis sitzt. Die Gefängniswärterin Simone (Lea Seydoux) wird seine Muse und Model des Bildes: „Simone, Nackt, Zellblock J, Hobbyraum“, das den Kunsthändler Julian Cadazio (Adrien Brody) so sehr begeistert, dass er beschließt, aus Moses einen Propheten der Kunst zu machen. Die zweite Episode ist den Studentenunruhen von Mai 1968 gewidmet und zeigt den Revoluzzer Zeffirelli (Timothy Chalamet), der eine Affäre mit der Reporterin Lucinda Krementz (Frances MacDormand) beginnt, die mit ihrer journalistischen Integrität hadert. Als Drittes eine Episode, die zwei französische Leidenschaften verbindet: Detektive und Essen. Hauptfigur ist vordergründig ein Kommissar (Mathieu Amalric), dessen Kind entführt wird, doch eigentlich steht ein Sterne-Koch im Mittelpunkt, der mit seinen Künsten auf seltsame Weise das Kind rettet.

Die episodische Struktur lässt „The French Dispatch“ in gewisser Weise zum Lackmustest der Anderson-Begeisterung werden: Noch nie zuvor stand der typische Anderson-Stil so sehr im Mittelpunkt, noch nie fehlte es in einem Anderson-Film so sehr an einer übergreifenden Geschichte, an ausgearbeiteten Charakteren wie hier. In praktisch jeder noch so winzigen Rolle treten bekannte amerikanische und einige französische Schauspieler auf, jedes Bild ist von oben bis unten vollgestopft mit skurrilen Elementen, Zitaten, Verweisen, die beim ersten Sehen kaum wahrzunehmen sind und „The French Dispatch“ zu einem Film machen, der danach verlangt zu Hause, per Pausentaste des Bluray-Players in aller Ruhe analysiert zu werden.

Im Gegensatz zu einem elegischen, tief melancholischen Film wie „The Grand Budapest Hotel“, bleiben die Charaktere allerdings flach, sind Typen, die ein bestimmtes Frankreichbild überzeichnen, vermischt mit dem typischen Blick für Details, wie sie in den oft ausufernden Artikeln des New Yorkers zu finden sind. Vielleicht muss man ein Faible für eine, am besten beide Themen haben, um „The French Dispatch“ wirklich zu schätzen, um etwa zu verstehen, dass die von Jeffrey Wright oder Frances McDormand gespielten Journalisten echten Vorbildern nachempfunden sind, dass das unnachgiebige Faktenchecken tatsächlich etwas ist, dass den New Yorker berühmt gemacht hat.

Andererseits sind die 100 Minuten von Andersons Film so reich an Ideen, an ungewöhnlichen, originellen Bildeinfällen, an skurrilen Momenten, an Wortwitz, makellos designten Räumen und Kostümen, dass man sich kaum satt sehen kann. „The French Dispatch“ als verspielt zu bezeichnen würde ihm kaum gerecht werden, es ist eine Wunderkammer des Kinos, deren Originalität man sich nicht entziehen sollte.

Michael Meyns