The Lost Leonardo

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Es war eine Sensation: Nach fast einhundert Jahren tauchte 2006 erstmals wieder ein neuer Leonardo am Markt auf, der einige Jahre später zum teuersten Gemälde aller Zeiten wurde. Zu schön um wahr zu sein? Vielleicht, wie Andreas Koefoed in seinem Dokumentarfilm „The Lost Leonardo“ zeigt, der die Absurditäten der Kunstwelt mitreißend seziert.

Website: https://pieceofmagic.com/case/the-lost-leonardo

Dokumentarfilm
Dänemark/ Frankreich 2021
Regie: Andreas Koefoed
Buch: Andreas Dalsgaard, Christian Kirk Muff, Andreas Koefoed
Länge: 100 Minuten
Verleih: Piece of Magic, Vertrieb: Die Filmagentinnen
Kinostart: 23.12.2021

FILMKRITIK:

Ausgerechnet um eine Darstellung des segnenden Christi geht es in dieser Geschichte, ausgesprochen passend und auch ein bisschen ironisch. Denn in der Frage, ob es sich bei dem Gemälde Salvator Mundi tatsächlich um einen echten Leonardo handelt, geht es nicht zuletzt um Glauben. Denn wirklich betrogen, wirklich kriminell hat in dieser Geschichte kaum einer der Beteiligten gehandelt, vielmehr haben die Verkäufer des Bildes nicht mehr als die Möglichkeit in den Raum gestellt, dass es sich bei dem 2005 wiederentdeckten Gemälde um einen echten Leonardo handelt – und die Käufer, erst der russische Milliardär Dmitry Rybolovlev, später der saudische Kronprinz Mohammad bin Salman, glaubten oder wollten glauben, dass das Gemälde echt ist.

Eine sagenhafte Geschichte, die der dänische Dokumentarfilmer Andreas Koefoed in seinem Film nachzeichnet und dabei viel über die Unwägbarkeiten, die Abgründe des Kunstmarktes, aber auch um Wahrnehmung und die Lust, getäuscht zu werden erzählt.

Was machte aber den verlorenen Leonardo so besonders? Der Seltenheitswert. Während von einem modernen Maler wie Pablo Picasso tausende, wenn nicht zehntausende Werke existieren, auch die Impressionisten so viel malten, dass praktisch jedes halbwegs renommierte Museum der Welt ein Exemplar in der Sammlung haben kann, existieren von Malern früherer Jahrhunderte nur wenige Werke. Von Jan Vermeer sind gerade einmal 37 Gemälde anerkannt, von Leonardo da Vinci, einem der Säulenheiligen der Kunstgeschichte, maximal 15 und auch darunter sind Werke, die wohl nur zum Teil aus seiner Hand stammen.

Kein Wunder also, dass die Aufregung bei der Restauratorin Diane Modestin groß war, als sie an der Arbeit an Salvator Mundi begann, ein Gemälde, das damals noch der Werkstatt Leonardos zugeschrieben wurde. Schwer beschädigt war das Bild und hier beginnen die Probleme. Modestin glaubte, es mit einem echten Leonardo zu tun zu haben, glaubte, hinter den Schäden jene sfumato genannte Maltechnik zu entdecken, die für das geheimnisvolle Lächeln der Mona Lisa verantwortlich war. Und so restaurierte sie das Gemälde im Stile Leonardos, ohne wirklich sicher sein zu können, dass es sich tatsächlich um einen Leonardo handelte.

Auch heute noch ist Modestin von der Richtigkeit ihrer Entscheidung überzeugt, viele Kunsthistoriker haben jedoch Zweifel. Dass es sich bei Salvator Mundi um ein bemerkenswertes Gemälde handelt, bei dem durchaus Leonardo selbst zumindest in Teilen Hand angelegt haben könnte, bestreitet niemand. Doch der Unterschied, nicht zuletzt der finanzielle zwischen einem hundertprozentigen und einem teilweisen Leonardo ist enorm. Dennoch wurde das Gemälde bei einer Auktion 2017 für die aberwitzige Summe von 450 Millionen Dollar verkauft – und wurde seitdem nie wieder gesehen.

Wie Koefoed anhand von zahlreichen Interviews mit Kunstexperten, Händlern, aber auch Nahostexperten darstellt, war der angebliche Leonardo geradezu Subjekt außenpolitischer Verwicklungen: Der neue Besitzer Mohammad bin Salman übte Druck auf den französischen Präsidenten Emmanuel Macron auf, damit dieser wiederum Einfluss auf den Louvre nimmt. Denn das Museum plante gerade eine große Leonardo-Ausstellung zum 500. Todestag des Künstlers. Und wenn der neue Leonardo dort als echter Leonardo gezeigt worden wäre, hätte dies dem Gemälde den Stempel der Authentizität verliehen. Doch es kam anders, auch wenn französische Geschäfte in Saudi-Arabien gefährdet waren, weigerte sich der Louvre, den Leonardo als echt auszustellen, bin Salman zog die Leihgabe zurück und seitdem weiß niemand, wo sich das Gemälde befindet. Und so lange niemand, schon gar kein Kunstexperte, das Gemälde begutachten kann, wird die Frage, ob es sich bei Salvator Mundi um einen echten Leonardo handelt, nicht abschließend beantworten lassen. Es ist und bleibt eine Frage des Glaubens.

Michael Meyns