The Northman

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Vor Shakespeares Hamlet gab es Amleth, eine nordische Legende, die nun als Vorbild für Robert Eggers epischen Wikingerfilm „The Northman“ dient. Einmal mehr stürzt sich der amerikanische Regisseur mit Haut und Haaren in eine Ära, was seinen Film in Momenten fast zu einer ethnologisch genauen Dokumentation macht, deren bemühte Authentizität allerdings lange Zeit Handlung und Figuren zu überschatten droht. - Bis zum fulminanten letzten Akt.

USA 2022
Regie: Robert Eggers
Buch: Sjón & Robert Eggers
Darsteller: Alexander Skarsgård, Claes Bang, Anya Taylor-Joy, Ethan Hawke, Nicole Kidman, Willem Dafoe, Björk

Länge:135 Minuten
Verleih: Universal
Kinostart: 21. April 2022

FILMKRITIK:

So unbestritten die Bedeutung und das überragende Talent von William Shakespeare auch sind: Fast alle Stücke des Barden basieren mehr oder weniger auf bereits existierenden Werken, variieren bekannte Plots und historische Ereignisse. So auch „Hamlet“, eines der, wenn nicht das berühmteste Drama Shakespeares. Die Forschung hat manche Vorbilder herausgearbeitet, eine davon ist die nordische Legende des Amleth, die wiederum im Mittelalter vom dänischen Historiker Saxo Grammaticus niedergeschrieben wurde, dessen Werk in Fragmenten überliefert ist.

Ausgehend von diesen Texten schrieb der amerikanische Autor und Regisseur Robert Eggers das Drehbuch zu seinem dritten Film „The Northman“, hatte dabei den isländischen Schriftsteller Sjón zur Seite, der half, die Geschichte tief in der nordischen Welt der Mythen und Sagen anzusiedeln. Hauptfigur ist Amleth, der als junger Mann mitansehen muss, wie sein Vater, der König Aurvandil (Ethan Hawke), von seinem Bruder Fjölnir (Claes Bang) ermordet wird. Der eigenen Ermordung kann Amleth entgehen, muss jedoch mitansehen, wie seine Mutter, Königin Gudrún (Nicole Kidman), von Fjölnir entführt wird.
Jahre später ist aus Amleth eine muskelbepackte, brutale Kampfmaschine geworden (jetzt gespielt von Alexander Skarsgård), der in der slawischen Rus auf Beutezug ist. Als er hört, dass manche der versklavten Einwohner – darunter die holde Maid Olga (Anya Taylor-Joy) – nach Island verschifft werden sollen, wo Fjölnir inzwischen im Exil lebt, erinnert sich Amleth an eine Prophezeihung: Er wird Rache am Mord an seinem Vater nehmen und im Tod den Weg nach Valhalla finden.

Mit seinen beiden Filmen "The Witch" und "The Lighthouse" hat sich Robert Eggers als Spezialist für eine extrem manirierte Form des Kinos etabliert, für Filme, die möglichst präzise in eine vergangene Zeit eintauchen, die Sprache, Kleidung und Lebensart einer Ära evozieren, als wären sie Dokumentationen. Und so ist auch "The Northman" über weite Strecken ein augenscheinlich realistischer Blick auf die Welt der Wikinger, eine Welt, die geprägt ist von Brutalität, Raubzügen und Matsch, in der halbnackte Männer, bekleidet mit Wolfsfellen um ein Lagerfeuer tanzen und versuchen mittels Urschreien eine Verbindung zwischen Mensch und Tier herzustellen.
Mit ganzem Körpereinsatz werfen sich die Darsteller in ihre Rollen und versuchen weniger Wikinger zu spielen, als Wikinger zu sein. Angesichts des Versuchs, größtmögliche Authentizität zu erzeugen, gerät bisweilen jedoch die Erzählung aus den Augen, verliert sich Eggers in dokumentarischen, ethnologischen Momenten. Wie ein museales Diorama wirkt "The Northman" lange, stilistisch atemberaubend präzise, aber auch etwas leblos und distanziert.

Erst im letzten Drittel, wenn die Handlung auf ihren exzessiven Höhepunkt zusteuert und das Mystische, das Sagenhafte die Authentizität verdrängt, schwingt sich "The Northman" zu archaischer Wucht auf. Die Ähnlichkeiten zu "Hamlet" sind dabei deutlich zu erkennen, aber doch nur ein Aspekt. Im Kern erzählen Eggers und Sjón eine klassisch nordische Saga, zeigen den Kampf des Menschens gegen die Elemente – die Handlung spielt im Schatten eines Vulkans, der pünktlich zum Finale explodiert und mit seinen reißenden Lavaströmen als Tor zur Hölle dient – vor allem aber das Ringen mit dem Schicksal: Den Weg, der ihm einst vorbestimmt wurde, kann Amleth nicht verlassen, nur durch das Annehmen seiner Bestimmung gelingt es ihm, Valhalla zu erreichen. Großer, mystischer Hokus Pokus ist das am Ende, bildgewaltig, ein bisschen albern, sehr brutal, aber in jedem Fall ein ambitioniertes Stück Kino.

Michael Meyns