Toubab

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Babtou freut sich nach der Haft eigentlich auf einen Neustart, da bringt ihn eine aus dem Ruder laufende Willkommensparty in arge Bedrängnis – und es droht die Abschiebung. Doch da radikale Probleme radikale Handlungen erfordern, kommt er auf eine außergewöhnliche Idee, um in Deutschland bleiben zu können. Die mit nachdenklichen Untertönen garnierte Komödie „Toubab“ beweist, dass man sich ernsten Themen mit Ironie und intelligentem Witz nähern kann. Heraus kommt ein sehenswerter Film, dessen Stärke die Balance zwischen unaufdringlicher Leichtigkeit und absichtsvoller Inszenierung ist.

Website: www.camino-film.com/filme/toubab/

Deutschland, Senegal 2021
Regie: Florian Dietrich
Drehbuch: Florian Dietrich, Arne Dechow
Darsteller: Farba Dieng, Julius Nitschkoff, Seyneb
Saleh, Valerie Koch, Michael Maertens
Länge: 96 Minuten
Verleih: Camino
Kinostart: 23.09.2021

FILMKRITIK:

Nach seiner Entlassung aus der Haft freut sich Babtou (Farba Dieng) riesig auf einen Neuanfang und die neu gewonnene Freiheit. Der ehemalige Kleingangster hat sich in der Haft weiterentwickelt und ist gereift. Jetzt will er sich mit seinem besten Kumpel Dennis (Julius Nitschkoff) ins Leben stürzen. Doch eine Willkommensparty, bei der alle Freunde aus dem Block versammelt sind, gerät außer Kontrolle und noch am selben Abend hat Babtou die Hände wieder in Handschellen. Und es drohen heftige Konsequenzen. Er soll in Kürze in seine „Heimat“ Senegal ausgewiesen werden. Um eine Abschiebung zu verhindern, reift in Babtou ein Plan: Wenn er es schafft Dennis zu einer Scheinehe zu überreden, hätte Babtou dauerhaftes Aufenthaltsrecht in Deutschland. Doch glauben ihm die Behörden?

Der Regie-Erstling des Wiesbadener Filmemachers Florian Dietrich entführt in die Welt eines in Deutschland geborenen Mannes mit afrikanischen Wurzeln, der den Senegal nur von den Erzählungen seines Vaters kennt. Babtou ist in Frankfurt geboren, im Rhein-Main-Gebiet verwurzelt und hat hier seine sozialen Kontakte. Wie groß die Befürchtung ist, das gewohnte Umfeld und das alte Leben zu verlieren, macht eine Szene deutlich, die Babtou (glaubhaft und authentisch: Farba Dieng) bei der Ausländerbehörde zeigt. Dort konfrontiert man ihn ganz unverblümt und ohne Rücksicht mit seiner baldigen Abschiebung.

„Toubab“ schafft es jedoch, dieses ernste, herausfordernde Thema des drohenden Heimatverlusts mit erstaunlicher Leichtigkeit und gut getimter Situationskomik zu behandeln. Und entlarvt auf diese Weise unter anderem die Engstirnigkeit und die von Vorurteilen geprägten, fragwürdigen Umgangsformen der Behördenmitarbeiter.

Überhaupt hinterfragt Regisseur Dietrich auf kluge Weise die starren Regeln des Systems sowie behördliche Bürokratie. Ohne dabei auf frechen Dialogwitz und punktgenaue One-Liner zu verzichten. Komödiantischer Höhepunkt ist ein Besuch der beiden humorlosen Ermittler, die Babtous und Dennis Wohnung begutachten – um zu prüfen, ob die Beiden tatsächlich in einer Ehe leben. In diesen Momenten treibt „Toubab“ das Spiel mit den (hier: schwulen) Klischees zudem bewusst auf die Spitze. Und so bekommen die zugeknöpften Mitarbeiter eigentlich nur all das zu Gesicht, was sie insgeheim eh erwartet hatten, da sie von vorgefertigten Ansichten und Ressentiments durchzogen sind: plüschige Deko, rosafarbene Kissen, Männerposter und allerlei Sex-Toys.

„Toubab“ verhandelt darüber hinaus weitere brisante, komplexe Inhalte wie Schwulen- und Ausländerfeindlichkeit, die Beziehung zu den Eltern und die Macht der sozialen Medien. Welch unangenehme Konsequenzen etwa die Verbreitung eines Youtube-Videos nach sich ziehen kann, erfährt die Hauptfigur am eigenen Leib.

Etwas schade ist, dass einige Nebenfiguren nicht mehr als schmückendes Beiwerk sind, über die man aber gern mehr erfahren hätte. Darunter Dennis (schwangere) Freundin oder der örtliche „Pate“, der über seine eigene Kleingangster-Truppe verfügt. Ihre Motivationen und Antriebe bleiben zu vage. Umso mitreißender und nachdrücklicher gestaltet sich dafür das Zusammenspiel und die Dynamik der Hauptdarsteller Farba Dieng und Julius Nitschkoff. Ob als beste Kumpels oder erzwungenermaßen als homosexuelles Ehepaar – Dieng und Nitschkoff begeistern mit einem unbekümmerten Auftreten und ihrem energetischen Spiel.

Björn Schneider