Träume sind wie wilde Tiger

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Für seine Träume muss man kämpfen und für die Erfüllung Kraft sowie Durchhaltevermögen aufbringen. Das ist die zentrale Botschaft des mit Coming-of-Age- und Culture-Clash-Elementen angereicherten Bollywood-Märchens „Träume sind wie wilde Tiger“. Als Zuschauer begleiten wir einen phantasiereichen indischen Jugendlichen, der in Bollywood Karriere machen will, seine Heimat jedoch in Richtung Deutschland verlassen muss. Ein kluger, außergewöhnlicher Film über Mut, Freundschaft und Eigenverantwortung, der über reichlich Selbstironie, augenzwinkernden Humor und tolle Musikszenen verfügt.

Website: www.wildbunch-germany.de/movie/traeume-sind-wie-wilde-tiger

Deutschland 2021
Regie: Lars Montag
Drehbuch: Lars Montag, Sathyan Ramesh
Darsteller: Shan Robitzky, Annlis Krischke, Simon Schwarz, Murali Perumal, Sushila Sara Mai,
Länge: 96 Minuten
Verleih: Wild Bunch
Kinostart: 03.02.2022

FILMKRITIK:

Der 13-jährige Ranji (Shan Robitzky) lebt mit seinen Eltern Sunil (Murali Perumal) und Kalinda (Sushila Sara Mai) in der Millionenmetropole Mumbai. Für den aufgeweckten Jugendlichen ist Bollywood das Größte. Nichts wünscht er sich mehr, als einmal mit seinem großen Helden und Vorbild, dem Superstar Amir Roshan, vor der Kamera zu stehen. Doch dieses Ziel rückt erst einmal in weite Ferne als seine Eltern ihm eröffnen, nach Deutschland auswandern zu wollen. Für Ranji ein Schock. Noch während des Flugs nach Deutschland erfährt er jedoch, dass ein großes Kinderdarsteller-Casting für Amirs neuen Film geplant ist. Das Problem: Ranji bleiben nur vier Tage, um – von Deutschland aus – ein Bewerbungsvideo einzureichen. Während er in seiner neuen Schulklasse nach Freunden sucht tut er alles dafür, um die Frist für das Casting einzuhalten.

„Träume sind wie wilde Tiger“ – schon der metaphorische Titel des neuen Films von Lars Montag („Tatort“, „Polizeiruf 110“) appelliert an die Vorstellungskraft und Phantasie der Zuschauer. Mit einer solchen sind vor allem die sympathischen jugendlichen Hauptfiguren ausgestattet, allen voran der geistreiche und leicht verträumte Ranji (natürlich gespielt von Shan Robitzky). Ihm zur Seite steht die ebenfalls überzeugend auftretende Annlis Krischke in der Rolle des gleichaltrigen Nachbarmädchens Toni. Sie unterstützt Ranji bei der Umsetzung des Videos und begleitet ihn bei der (Rück)Reise nach Indien.

Die traumartigen Phantasiewelten, in die sich der Protagonist immer wieder flüchtet, inszeniert Regisseur Montag einfallsreich sowie höchst abwechslungsreich als Mischung aus Tanz- und Musikszenen und mit liebenswerten Anspielungen auf die kunterbunte Bollywood-Welt. Es gibt exotische Kostüme, märchenhafte Kulissen, eingängige Melodien und wichtige Botschaften. Es geht darum nie den Mut zu verlieren sowie seine Träume wahr werden zu lassen - und nicht zuletzt um den Wert echter, tiefer Freundschaft über kulturelle Grenzen und Unterschiede hinweg. Exemplarisch dafür steht die enge Verbindung zwischen Ranji und Toni.

Die thematische Bandbreite, die „Träume sind wie wilde Tiger“ auffährt, ist üppig und da besteht schnell mal die Gefahr, sich in dieser Vielfalt zu verlieren und beliebig zu werden. Montag aber schafft es, alle inhaltlichen Aspekte und Sujets, welche die Lebenswelt und -wirklichkeit Heranwachsender berücksichtigen, stimmig und klug zusammenzuführen. Egal ob es dabei um den Kampf um Anerkennung (von den Eltern oder Mitschülern), Identitätsfindung oder Anpassungsversuche geht. Montag scheut darüber hinaus nicht vor nachdenklichen und ernsten Tönen zurück. So leidet Toni sehr unter der Trennung ihrer Eltern und Ranji sieht sich aggressiven und mobbenden Klassenkameraden ausgesetzt.

Doch insgesamt dominieren eindeutig die Leichtigkeit und der Humor. Letzterer erweist sich sogar als tragende Säule, immerhin versteht Montag das augenzwinkernde Spiel mit den Klischees und Vorurteilen (über Deutsche und Inder) ganz exzellent. Der als gemeingefährlich und chaotisch geltende Straßenverkehr Indiens, der exzellente Ruf deutscher Brotbackkunst („Gute deutsche Geschmacksverstärkung“) oder die übertriebene Genauigkeit sowie das Festhalten an Regeln der Deutschen. Auf all dies und noch weit mehr spielt „Träume sind wie wilde Tiger“ pointiert und hintersinnig an. Ohne sich lustig zu machen oder respektlos zu wirken.
Hinzu kommen einige illustre, wahrlich schräge Gastauftritte, die für Amüsement und Heiterkeit sorgen. Darunter Nina Petri als spirituelle Esoterikerin, Herbert Knaup als kleinlicher Nachbar und Roberto Blanco als Fluggast, der Ranji und seiner Familie Integrationstipps gibt.

Björn Schneider