Vier Sterne Plus

Zum Vergrößern klicken

Nicht erst die drohende Überbelastung des deutschen Gesundheitssystem während der Corona-Pandemie hat die Frage nach der Funktionalität von Krankenhäusern und Intensivstation auf die Tagesordnung gesetzt. In ihrem Dokumentarfilm „Vier Sterne Plus“ porträtiert Antje Schneider den Krankenhaus-Leiter David-Rubin Thies und zeigt an ihm und seiner Arbeit Missstände und Möglichkeiten auf.

Deutschland 2022
Regie & Buch: Antje Schneider
Dokumentarfilm
Länge: 94 Minuten
Verleih: rise and shine
Kinostart: 14. April 2022

FILMKRITIK:

Kritik am Gesundheitssystem ist einfach und oft ein bisschen billig. "Die arbeiten doch nur in die eigene Tasche", heißt es da schnell, oder "Es wird doch ohnehin nur verschrieben, was der Pharmaindustrie Gewinn bringt". Stimmt natürlich auch, zumindest im Ansatz. Wir leben schließlich im Kapitalismus und so verdient ein Unternehmen wie Biontech an der Corona-Vakzine Milliarden. Das heißt aber noch lange nicht, dass es keinen Sinn macht, sich impfen zu lassen.

Andererseits werden in Deutschland zum Beispiel viel mehr Prothesen eingesetzt als in den meisten anderen EU-Ländern. Geschieht dies stets nur zum Wohle des Patienten oder auch, um ein Krankenhaus zu finanzieren, ein Krankenhaus, das nur dann funktionieren kann, wenn Menschen auch krank sind und die Betten belegen?

Dieser immanente Widerspruch scheint schwer aufzulösen, doch genau das versucht David-Rubin Thies, der im Mittelpunkt von Antje Schneiders Dokumentarfilm „Vier Sterne Plus“ steht. Als Krankenpfleger begann Thies' Karriere im Gesundheitswesen, nach einer Ausbildung zum Betriebswirt leitet er seit 2008 die Waldkliniken Eisenberg. Hier versucht er in gewisser Weise den Gordischen Knoten zu durchschlagen: Gleichzeitig ein finanziell gesundes Unternehmen zu leiten, das keine unnötigen Operationen durchführt und nicht zuletzt auch Kassenpatienten einen den Umständen entsprechend angenehmen Klinikaufenthalt ermöglicht.

Das geht nicht? Wenn man sich bemüht schon, wie im Laufe der Dokumentation deutlich wird. Mehrfach wurden die Kliniken Eisenberg ausgezeichnet, können ansprechende Architektur vorweisen und sind profitabel. Doch der Weg dahin war beschwerlich, wie man am umtriebigen Thies deutlich sieht. Kaum zur Ruhe scheint der inzwischen Anfang 50jährige zu kommen, spricht bei Kongressen im In- und Ausland, informiert sich über die Missstände hier, die Vorzüge dort und versucht, das Beste herauszuholen.

Vor allem für die Patienten, aber auch für sich selbst: Ein Häuschen in der Toskana, wo er sich eine halbjährige Auszeit gönnen kann ist bei all der Arbeit auch herausgekommen, aber warum nicht, wir leben eben im Kapitalismus, aus altruistischen Gründen arbeitet niemand, auch nicht, wenn er unbedingt erstrebenswerte Ziele hat.

Dass Thies selbst offenbar eher ungesund lebt, bis zur Erschöpfung arbeitet und im Laufe des Films mehr als einmal zur Zigarette greift ist ein schöner Widerspruch in einem Film, der die Widersprüche des Gesundheitssystems aufzeigt. Und dabei weder predigt noch einfache Lösungen anbietet, vor allem aber nicht auf allzu einfache Weise Kritik an Krankenkassen und Pharmaunternehmen, Ärzten und Krankenhäusern übt. Stattdessen zeigt Antje Schneider die Komplexität der Fragestellung auf, stellt Fragen, die sie nicht beantworten kann und will. Nicht zuletzt als Diskussionsgrundlage für sich an die Vorführung anschließende weiterführende und vertiefende Diskussionen ist „Vier Sterne Plus“ daher hervorragend geeignet.

 

Michael Meyns