Wer wir waren

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Es muss sich etwas ändern, wenn wir in 50 oder 100 oder gar noch ferner in der Zukunft auf der Erde leben wollen. Auch wenn dies inzwischen den meisten Menschen klar ist, passiert zu wenig, vielleicht hilft also ein Blick aus der Zukunft, um die Perspektive zu ändern. Aus dieser Perspektive betrachtet Marc Bauder in seiner Dokumentation „Wer wir waren“, die als Berlinale-Special gezeigt wurde, die Gegenwart.

Website: www.x-verleih.de/filme/wer-wir-waren/#

Dokumentation
Deutschland 2021
Regie & Buch: Marc Bauder
Länge: 115 Minuten
Verleih: X Verleih, Vertrieb: Warner Bros.
Kinostart: 8.7.2021

FILMKRITIK:

„Wir waren jene, die wussten, aber nicht verstanden, voller Informationen, aber ohne Erkenntnis, randvoll mit Wissen, aber mager an Erfahrung. So gingen wir, von uns selbst nicht aufgehalten.“ Kurz vor seinem Tod blickte der Autor und Fernsehmoderator Roger Willemsen mit skeptischem Blick auf die Welt, auf die Menschen, die mit zunehmender Geschwindigkeit ihren Planeten zerstören. Sein letztes Buchprojekt sollte „Wer wir waren“ heißen, nach seinem Tod erschien es in verkürzter Form und diente nun dem Dokumentarfilmer Marc Bauder („Masters of the Universe“) als Inspiration.

Sechs Wissenschaftler porträtiert Bauder, die sich in ihrer Arbeit auf unterschiedliche Weise, aus unterschiedlicher Perspektive an einem Blick auf das große Ganze versuchen.

Die Welt komplett im Auge hat bisweilen der Astronaut Alexander Gerst, der von seinem zeitweiligen Arbeitsplatz, der Internationalen Raumstation, die Welt ohne Grenzen sehen kann. Die Ozeanologin Sylvia Earle versucht dagegen die Welt aus anderer Perspektive zu betrachten: Aus den Tiefen der Meere, die inzwischen weiter weg scheinen und vor allem weniger erforscht sind, als der Weltall. Wie können wir denken, dass wir die Erde verstehen, wenn wir so wenig über die Ozeane wissen, die nicht nur zwei Drittel der Erdoberfläche ausfüllen, sondern auch tiefer sind, als die höchsten Berge hoch?

Der Wirtschaftswissenschaftler Dennis Snower ist Mitgründer des Global Solutions Summit, bei dem grenzüberschreitende Lösungen für globale Probleme entwickelt werden sollen, ein Thema, das auf seine Weise auch Matthieu Ricard beschäftigt. Der Molekularbiologe und Buddhist forscht am Einfluss der Meditation auf das Gehirn und das Gefühl von Gemeinschaft. Wie schwierig es ist, ein Konzept von globaler Gemeinschaft zu entwickeln ist ein Thema der Arbeit des Philosoph und Ökonom Felwine Sarr, der dafür plädiert, dass der globale Süden sich endlich von den Fesseln des Nordens löst, dessen Lösungsvorschläge sich immer seltener als praktikabel erweisen. Schließlich Janina Loh, eine Philosophin und kritische Posthumanistin, die entsetzt darüber ist, wie wenig der Mensch zu realisieren scheint, dass er gleichzeitig zu enormer Kreativität im Stande ist, aber auch zu unfassbarer Zerstörung.

Eine Ideensammlung ist „Wie wir waren“, die zum Nachdenken und Innehalten anregen soll. Szenen, in denen die sechs Wissenschaftler und Denker Vorträge halten oder ihre Gedanken in anderem Kontext ganz konkret in Worte fassen, wechseln mit meditativen Momenten ab, in denen die Schönheit der Erde, aber auch die durch den Mensch angerichtete Zerstörung in eindringlichen Bildern angedeutet wird.
Noch haben wir die Möglichkeit, die Dinge zu ändern, darauf Einfluss zu nehmen, wie zukünftige Generation unsere Zeit betrachten werden: Ob als Ära, in der die Menschheit sehenden Auges in ihr Verderben rannte oder als Moment, in dem die Menschheit die Warnzeichen endlich ernst nahm und grundlegende Änderungen begann. Vielleicht hilft Marc Bauders „Wer wir waren“, die Dinge ein klein wenig in die notwendige Richtung zu bewegen.

Michael Meyns