Werner Herzog – Radical Dreamer

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Rund um seinen 80. Geburtstag am 5. September wird der Kino-Solitär Werner Herzog unter anderem mit einer Wiederaufführung seines Klassikers „Fitzcarraldo“ und einer Gedenkschau der Deutschen Kinemathek geehrt. Mit dem Dokumentarfilmporträt „Werner Herzog – Radical Dreamer“ würdigt auch Regisseur Thomas von Steinaecker Leben und Werk des Jubilars, der seit 1968 rund siebzig Spiel- und Dokumentarfilme vorgelegt hat.

Webseite: www.realfictionfilme.de/werner-herzog-radical-dreamer.html

Deutschland/USA 2022
Regie: Thomas von Steinaecker
Mitwirkende: Werner Herzog, Tilbert Herzog, Lucki Stipetic, Martje Herzog, Chloé Zhao, Joshua Oppenheimer, Christian Bale

Laufzeit: 102 Min.
Verleih: Real Fiction
Kinostart: 27. Oktober 2022

FILMKRITIK:

Es ist eins der großen Kinobilder schlechthin, nicht nur für Werner Herzog, auch für den künstlerischen Entstehungsprozess an sich: Ein großer Flussdampfer wird im peruanischen Dschungel mit purer Manneskraft über einen Bergrücken gezogen. Die Schlüsselszene aus dem 1982er Meisterwerk „Fitzcarraldo“ sagt viel über den Durchhaltewillen des Auteurs Herzog aus, der den Film aller extremen Widrigkeiten zum Trotz abdrehte.

Während andere Stars des Neuen Deutschen Films der 1960er- und 70er-Jahre längst tot oder anderweitig erstarrt sind, überrascht Werner Herzog nach wie vor mit Filmen wie „Königin der Wüste“ oder Gastrollen in „Jack Reacher“ und „The Mandalorian“. In den USA ist der 1996 nach Kalifornien ausgewanderte Herzog spätestens seit dem 2005 veröffentlichten „Grizzly Man“ über den Naturforscher Timothy Treadwell ein hoch geschätzter Teil der Popkultur. Hierzulande schlägt ihm oft weniger Wohlwollen entgegen; schon sein 1972 in Deutschland gefloppter Abenteuerfilm „Aguirre, der Zorn Gottes“ fand erst in Frankreich ein Publikum. Vielleicht liegt dieses häufige Schicksal der Unangepassten ganz einfach in der Natur der Sache. Wim Wenders nennt den Kollegen „Lonesome Rider“ und konstatiert: „Nur das Untypische ist typisch für ihn“. Nach eigener Aussage will Herzog „ein guter Soldat des Kinos“ sein.

Für sein Porträt des umtriebigen Herzog wählt Thomas von Steinaecker („Richard Strauss und seine Heldinnen“) eine auffallend zahme Form. In klassischer Machart präsentiert er Film- und Presseausschnitte und führt Interviews mit Herzogs Bruder Tilbert, dem Halbruder und Produzenten Lucki Stipetic oder Weggefährten wie Chloé Zhao, Joshua Oppenheimer und Christian Bale. Im Zentrum steht Werner Herzog selbst. Von Steinaecker begleitet ihn an Orte seiner Kindheit und Jugend im oberbayrischen Sachrang oder bei einem Regie-Workshop auf Lanzarote, wo der Nachwuchs Tuchfühlung mit den Drehorten von Herzogs zweitem Kinofilm „Auch Zwerge haben klein angefangen“ aufnimmt.

Es geht in „Radical Dreamer“ weniger um die filmische Handschrift des Auteurs, sondern um das Wesen des Protagonisten selbst. Wie in seinen eigenen Dokumentarfilmen äußert sich Werner Herzog mit markanter Stimme. Zur Sprache kommen beispielsweise seine Pilgerreise von München nach Paris zur sterbenskranken Filmkritikerin Lotte Eisner, die er im Reisetagebuch „Vom Gehen im Eis“ beschreibt, die Anekdote, bei der er mitten in einem Interview von einem Luftgewehr angeschossen wurde („nur eine Fleischwunde“), und natürlich die Wutanfälle seines fünfmaligen Hauptdarstellers Klaus Kinski: „Ein Zwergenregisseur sind Sie, aber kein Regisseur für mich!“

„Nach einer wahren Begebenheit“ steht am Anfang des Dokumentarporträts. Thomas von Steinaecker verweist mit dieser im Kontext eigenartigen Anmerkung auf das typische Wesensmerkmal seines Protagonisten, die Realität gern mal flexibel auszulegen, ohne dabei im Kern zu lügen – nicht die schlechteste Eigenschaft für einen Filmschaffenden.

 

Christian Horn