300 Worte Deutsch

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Eine pointierte, treffsichere Multikulti-Integrations-Komödie ist Züli Aladag mit „300 Worte Deutsch“ gelungen. Vorurteile und Klischees von beiden Seiten der deutsch-türkischen Beziehungen werden entlarvt und ganz nebenbei ein Plädoyer für Emanzipation gehalten. Besonders Hauptdarstellerin Pegah Ferydoni als Frau zwischen zwei Welten prägt den Charme des Films.

Webseite: www.facebook.com/300Worte

Deutschland 2014
Regie: Züli Aladag
Buch: Ali Samadi Ahadi, Arne Nolting, Gabriela Sperl, Züli Aladag
Darsteller: Pegah Ferydoni, Christoph Maria Herbst, Vedat Erincin, Christoph Letkowski, Nadja Uhl
Länge: 98 Minuten
Verleih: DCM
Kinostart: 5. Februar 2015
 

FILMKRITIK:

Als Tochter des Moschee-Vorstehers Demirkan (Vedat Erincin) hat es Lale (Pegah Ferydoni) nicht leicht, denn die junge Türkin lebt ein unabhängiges Leben und widersetzt sich so gut es geht den patriarchalischen Traditionen: Kopftuch trägt sie nur zu Hause ihrem Vater zuliebe, und auch die ständigen Vorschläge für einen Ehemann erträgt sie mit Engelsgeduld.

In der Moschee des Vaters drohen derweil Probleme: Eine Gruppe türkischer Frauen ist angekommen, die in Deutschland lebende Türken heiraten sollen. Doch diese Bräute sprechen kein Deutsch, was Dr. Ludwig Sarheimer (Christoph Maria Herbst) auf den Plan bringt, der im Ausländeramt arbeitet und nichts lieber tun würde, als all die illegalen Einwanderer, all die "Schmarotzer" auszuweisen. Dabei soll ihm sein Neffe Marc (Christoph Letkowski) helfen, der seit kurzem in der Behörde arbeitet, im Gegensatz zu seinem Onkel jedoch ein betont liberaler, engagierter, mitfühlender Mensch ist. Kurz entschlossen hilft er Lale, einen Deutschkurs für die türkischen Frauen zu organisieren. Und auch privat kommt man sich näher, doch die Verwicklungen haben erst begonnen.

Kaum ein Klischee, kaum ein Vorurteil lässt Züli Aladag in seiner Multikulti-Komödie aus: Vom latent rassistischen deutschen Beamten, für den jeder Einwanderer ein Sozialschmarotzer ist und Moscheen Terrorismus-Nester, bis zum deutschen Gutmenschen, der in seinem bemühten Verständnis für andere Kulturen oft die eigene vergisst. Von Lamm bratenden, lauten, ständig tanzenden und feiernden Türken, bis hin zu emanzipierten Türken zweiter Generation, die zwischen Tradition und Moderne hin und her gerissen sind. Manchmal droht sich „300 Worte Deutsch“ in diesem Spiel der Klischees zu verlieren und die Vorurteile, die er entlarven will, zu bestätigen. Doch auch wenn manche Wendung der Geschichte arg konstruiert anmutet – der ausländerfeindliche Dr. Sarheimer frequentiert etwa eine Hure, die sich als Türkin herausstellt und trifft im Bordell auch noch auf den vorgeblich so konservativen Demirkan – gelingt es Aladag immer wieder, die Absurdität mancher Vorurteile anzudeuten, aber auch zu zeigen, dass in jedem Klischee ein Körnchen Wahrheit steckt.

Im Kern ist „300 Worte Deutsch“ zwar eine Komödie, in der nicht nur aber vor allem der als misanthropische Stromberg bekannt gewordene Christoph Maria Herbst für Komik sorgt, doch gerade mit der Figur der Lale gelingt Aladag auch eine komplexe Darstellung einer Frau zwischen den Welten. Denn so emanzipiert und selbstständig Lale auch wirkt, so vehement sie sich für die Rechte ihrer anfangs noch verschüchterten türkischen Schülerinnen einsetzt, so schwer fällt es ihr selbst, ihrem Vater zu widersprechen. So viele Erwartungen lasten auf Lale, von Seiten ihres Vaters, aber auch von Marc, der Gesellschaft und nicht zuletzt von sich selbst, dass es kaum möglich ist, allen gerecht zu werden.

So brachial „300 Worte Deutsch“ in manchen Momenten auch sein mag, im Kern erzählt Züli Aladag auf humorvolle, pointierte, aber eben auch ernsthafte Weise von der schwierigen und oft kaum zu erfüllenden Rolle, die gerade von Migranten der zweiten oder dritten Generation oft erwartet wird. Gleichzeitig traditionell und modern zu sein ist eben kaum möglich und kann zu Zerwürfnissen führen, die sich in einem Film am Ende meist auflösen, in der Wirklichkeit aber oft nicht.
 
Michael Meyns