Aloys

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Allzu oft begnügen sich Filmemacher damit, die narrativem Möglichkeiten des Kinos auszuloten und vernachlässigen die visuellen und akustischen Möglichkeiten des Mediums. Ganz anders der junge Schweizer Regisseur Tobias Nölle, der in seinem Debütfilm "Aloys" tief ins Unterbewusste seiner Hauptfigur eindringt. Dabei geht er fast schon zu weit, doch der Weg dahin ist ein ungewöhnliches filmisches Experiment.

Webseite: www.filmkinotext.de

Schweiz 2015
Regie & Buch: Tobias Nölle
Darsteller: Georg Friedrich, Tilde von Overbeck, Kamil Krejci, Yufei Li, Koi Lee, Sebastian Krähenbühl
Länge: 90 Minuten
Verleih: Film Kino Text
Kinostart: 24. November 2016

FILMKRITIK:

Aloys Adorn (Georg Friedrich) ist klassischer Eigenbrötler: Seine sozialen Kontakte beschränkt er auf das absolut nötigste, bewohnt eine Wohnung in einem gesichtslosen Hochhauskomplex, kauft täglich im selben Asia-Imbiss das selbe Gericht und geht seiner Arbeit nach. Als Detektiv beobachtet er fremde Menschen, filmt sie beim Betrügen der Ehefrau und lebt mehr durch die Bilder auf den zahllosen Videokassetten, die sich im Laufe der Jahre angesammelt haben, als durch eigene Erlebnisse.

Telefoniert er mit einem Auftraggeber, spricht er immer noch von wir, dabei ist sein Partner in der Detektei unlängst verstorben. Es war sein Vater, der einzige menschliche Kontakt Aloys, der nun verschwunden ist und den Mitvierziger in die Krise stürzt. Im Suff bricht er in einem Bus zusammen, als er aufwacht fehlt seine Videokamera. Doch bald meldet sich der Dieb am Telefon und konfrontiert Aloys mit seinem Wesen, mit dem Mangel an sozialen Kontakten, an Wärme, an Liebe.

Bald stellt sich heraus, dass die Anruferin seine Nachbarin (Tilde von Overbeck) ist, die nach einem Suizidversuch im Krankenhaus liegt. Anfangs widerwillig dann immer begieriger lässt sich Aloys auf die Frau ein, rein telefonisch, doch zunehmend beginnen die Worte seiner Nachbarin Gestalt anzunehmen, werden ihre Beschreibungen Wirklichkeit, auch wenn sie nur in der Imagination Aloys existieren.

Vom ersten Moment an überzeugt Tobias Nölles Debütfilm "Aloys" durch seine formale Strenge. Der Schauplatz einer namenlosen, gesichtslosen Stadt wird durch die kalten, farbentsättigten Breitwandbilder noch unwirtlicher, die abgetragene Kleidung Aloys, seine altmodisch eingerichtete Wohnung wirken wie aus der Zeit gefallen, als würde sich sein Leben seit Jahren auf der Stelle bewegen.

Um so größer ist dann der Kontrast, wenn Aloys während eines Telefonats plötzlich in einem Wald steht, die lange Telefonschnur ihn an einen Baum fesselt, der lebendiger erscheint, als er selbst. Anfangs nur kurze Momente, bald immer länger werden Aloys Aufenthalte in dieser anderen Welt, seiner Imagination, in der seine Wohnung bald von all den Menschen bevölkert ist, die ihm in der Wirklichkeit begegnen, mit denen er aber nur rudimentären Kontakt hat.

So eindrucksvoll es ist, wie Nölle mit einfachsten filmischen und akustischen Mitteln dieses Abdriften in Phantasiewelten darstellt, auf Dauer merkt man seinem Film dann doch an, dass er nur auf einer Idee basiert. Eine brillante Idee zwar, aber doch eine, deren Substanz letztlich eher für einen Kurzfilm geeignet erscheint, als für einen abendfüllenden Film. So hervorragend die Bildebene und vor allem das außerordentliche Sounddesign auch ist, ganz kann "Aloys" seine Spannung nicht über 90 Minuten halten.

Doch allein Nölles Mut, sich nicht auf eine klassische Narration zu beschränken, sondern mit den Möglichkeiten der visuellen und akustischen Gestaltung zu spielen, dass Medium Kino dazu zu benutzen, in das Unterbewusstsein seiner sperrigen Hauptfigur einzudringen nötigt Respekt ab und macht "Aloys" zu einem so ungewöhnlichen, bemerkenswerten Film.
 
Michael Meyns