Der Perlmuttknopf

Zum Vergrößern klicken

Schon mit „Nostalgia De La Luz“ begab sich der chilenische Dokumentarist Patricio Guzmán auf die Suche nach den Opfern der Pinochet-Diktatur. Mit seinem aktuellen Dokumentarfilm „Der Perlmuttknopf“ bleibt Guzmán dieser Thematik treu, auch wenn der Zugriff von einer anderen Warte aus erfolgt. Suchten die Hinterbliebenen die Überreste ihrer Angehörigen in „Nostalgia De La Luz“ noch in der Atacamawüste im Norden Chiles, verschlägt es Guzmán nun auf den Meeresboden an der chilenischen Küste. Die essayistische Machart behält Guzmán indes bei und liefert erneut ein vielschichtiges und aufwühlendes Werk. „Der Perlmuttknopf“ lief als einziger Dokumentarfilm im Wettbewerb der 65. Berlinale und erhielt dort den Silbernen Bären für das beste Drehbuch sowie den Preis der Ökumenischen Jury.

Webseite: www.realfictionfilme.de

OT: El Botón de Nácar
Chile, Spanien, Frankreich 2015
Regie: Patricio Guzmán
Länge: 82 Min.
Verleih: RealFiction
Kinostart: 10. Dezember 2015
 

FILMKRITIK:

Die Quelle allen Lebens ist das Wasser. In einem Prolog nähert sich Patricio Guzmán der existenziellen Bedeutung des Wassers von der chilenischen Küste bis hin zu Wasservorkommen in fernen Galaxien aus verschiedenen Blickwinkeln. Den Fokus legt der Filmemacher auf die Wasservölker im Süden Chiles und Westpatagonien, deren Lebensweise aufs Engste mit der Natur und dem Wasser verknüpft war, bis die britischen Eroberer die Naturvölker an der Schwelle zum 20. Jahrhundert auslöschten. Hier kommt die erste Bedeutung des titelgebenden Perlmuttknopfs ins Spiel. Einen der Ureinwohner kaufte ein englischer Admiral nämlich mit einem solchen Knopf, um ihn anschließend unter dem Namen Jemmy Button in London vorzuführen.
 
Die zweite Bedeutung des Perlmuttknopfs führt Patricio Guzmán zur Pinochet-Diktatur und damit zum eigentlichen Thema des Dokumentarfilms. Während der Militärdiktatur unter Augusto Pinochet verschwanden zwischen 1973 und 1990 unzählige Oppositionelle und andere unliebsame Chilenen spurlos. Eine gängige Praxis war es, die Leichen der Menschen in Kartoffelsäcke zu verpacken und –  mit Eisenbahnschieben beschwert – vom Helikopter aus über dem Ozean abzuwerfen. Ein verwitterter Perlmuttknopf, der auf dem Meeresgrund neben einer verrosteten Schiene gefunden wurde, steht symbolisch für die Verschwundenen, deren Überreste wohl für immer verschütt bleiben. Wohl auch, weil die Zeit der Militärdiktatur in Chile noch immer tabuisiert ist, stellt Patricio Guzmán einen der Helikopterflüge als aufrüttelndes Reenactment nach, über dessen Notwendigkeit man streiten kann.
 
Die weit verzweigte Struktur von „Der Perlmuttknopf“ verknüpft die Vergangenheit mit der Gegenwart, indem sie den Bogen von der Kolonialzeit bis zur Militärdiktatur spannt. Wie schon bei „Nostalgia De La Luz“ verliert Patricio Guzmán, der den Off-Kommentar mit seiner sonoren Stimme selbst einspricht, das Thema aller erzählerischen und poetischen Abschweifungen zum Trotz nicht aus den Augen. Mit historischen Fotografien und Archivaufnahmen sowie Zeitzeugeninterviews nutzt Guzmán auch etablierte Techniken des Dokumentarfilms. Die kunstvollen Landschaftsbilder machen indes einen Kontrast zu den historischen Schrecken auf, die der Dokumentarfilm ans Tageslicht befördert.
 
Christian Horn