Die große Versuchung

Zum Vergrößern klicken

Rund zehn Jahre nach dem kanadischen Überraschungserfolg „Die große Verführung“ scheint die Zeit reif für ein Remake mit Star-Besetzung. Brendan Gleeson und Taylor Kitsch spielen in der Neuauflage die Rollen des schlitzohrigen Raubeins und seines jungen Gastes aus der Großstadt. Letzterer soll unter nicht ganz wahrheitsgemäßen Vorzeichen als neuer Arzt in das verschlafene Hafenörtchen Tickle Cove gelockt werden. Mit trockenem Humor, viel Herz und noch mehr Charme sollte das Feel-Good-Movie auch hierzulande beim Publikum reüssieren.

Webseite: www.wildbunch-germany.de

OT: The Grand Seduction
KAN 2013
Regie: Don McKellar
Drehbuch: Michael Dowse, Ken Scott
Darsteller: Brendan Gleeson, Taylor Kitsch, Gordon Pinsent, Liane Balaban, Rhonda Rodgers
Laufzeit: 115 Minuten
Verleih: Wild Bunch
Kinostart: 10.7.2014

FILMKRITIK:

Zu behaupten, dass kleine Hafenstädtchen Tickle Cove habe schon einmal bessere Zeiten gesehen, erscheint reichlich untertrieben. Wo die Männer des Dorfes früher als Fischer sich und ihre Familien ernährten, herrscht inzwischen eine erschreckende Trostlosigkeit. Es gibt weder Arbeit noch eine Perspektive und so sind die meisten jungen Einwohner längst weggezogen. Doch dann keimt plötzlich Hoffnung auf – selbst beim knochigen Raubein Murray (Brendan Gleeson) und seinem besten Freund Simon (Gordon Pinsent). Als eine Ölfirma ankündigt, im beschaulichen Tickle Cove eine neue Fabrik errichten zu wollen, sehen darin viele die letzte Chance für ihren geliebten Hafen. Leider hat das Vorhaben nur einen Haken. Ohne einen ortsansässigen Arzt, den die Ölfirma zur Voraussetzung für den Bau der Fabrik macht, werden Investitionen und Arbeit wieder einmal an Tickle Cove vorbeiziehen.
 
Doch für Murray heiligt in diesem Fall der Zweck fast jedes Mittel. Euphorisiert von der Aussicht auf eine blühende Zukunft für seinen Heimatort lockt er den jungen Arzt Dr. Paul Lewis (Taylor Kitsch) von der Stadt in den auf den ersten Blick etwas trostlosen Hafen. Zuvor wurden bereits die Dorfbewohner in Murrays cleveren Plan eingeweiht. Dieser sieht vor, Dr. Lewis alle Wünsche von den Augen abzulesen, wobei man es mit der Wahrheit nicht so genau nimmt. Da werden die Männer in Tickle Cove praktisch über Nacht zu glühenden Cricket-Fans – dem Lieblingssport des Doktors – und so manche Frau zu einer nicht ganz freiwilligen Flirtpartnerin.
 
Dass die Geschichte recht vertraut klingt, hat einen einfachen Grund. „Die große Versuchung“ ist das Remake des franko-kanadischen „Die große Verführung“ (2003). Unter der Regie von Don McKellar, der bislang meist vor der Kamera stand, wird aus der eigentlich eher tristen Prämisse – ein Dorf ohne Perspektive, Bewohner ohne Arbeit – optimistisches Feel-Good-Kino, dessen Charme und Witz ziemlich rasch verfängt. Der trockene Humor passt ebenso zur Landschaft und den Menschen wie Brendan Gleeson zur Figur des leicht kauzigen, schroffen Anführers einer ungemein sympathischen Münchhausen-Truppe. Mit immer neuen Ideen versucht diese, ihren Doktor von den eher versteckten Vorzügen ihres verschlafenen Hafens zu überzeugen. Dass der Weg bis zum Finale, das natürlich nur mit der Rettung von Tickle Cove enden kann, hierbei genau vorgezeichnet scheint, schmälert den von Beginn an hohen Unterhaltungswert keineswegs.
 
Dafür sorgen schon Gleeson, sein Kompagnon Gordon Pinsent sowie der Rest des bestens aufgelegten Ensembles. Sogar Taylor Kitsch darf neben seinem Image als Frauenschwarm seine bislang eher versteckten Qualitäten im komischen Fach ausleben, woran er sichtlich Gefallen findet. „Die große Versuchung“ lebt von einem genauen Blick für schrullige Eigenarten und menschliche Marotten. Obwohl der Film mit dem wirtschaftlichen Niedergang vieler ländlicher Regionen einen durchaus ernsten Hintergrund besitzt, ist er denkbar weit entfernt von sozialkritischem Betroffenheitskino. Stattdessen wird hier mit den Mitteln einer warmherzigen Culture-Clash-Komödie – gebildeter Städter trifft auf verschrobene Landeier – eine zeitlose Geschichte vom Suchen und Finden des ganz persönlichen Glücks erzählt, der man trotz bekannter Dramaturgie nur zu gerne zuhört.
 
Marcus Wessel