Härte

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Zuhälter, Missbrauchsopfer, Karatetrainer, Menschenfreund: Der Berliner Andreas Marquardt hat viele Identitäten, die sich in Rosa von Praunheims Doku-Drama zu einem komplexen Charakter formen. In aktuellen Interviews und nachgestellten Szenen zeichnet von Praunheim ein hartes Leben nach, bleibt dabei stets neutraler Beobachter und lässt so das Publikum selbst sein Urteil über einen schwierigen Menschen fällen.

Webseite: www.missingfilms.de

Deutschland 2014
Regie: Rosa von Praunheim
Buch: Nico Woche, Jürgen Lemke, Rosa von Praunheim
Darsteller: Hanno Koffler, Luise Heyer, Katy Karrenbauer
Mit: Andreas Marquardt, Marion Erdmann
Länge: 110 Minuten
Verleih: missing FILMs
Kinostart: 23. April 2015
 

FILMKRITIK:

Vom Zuhälter zum sozial engagierten Sportlehrer. Allein das wäre eine bemerkenswerte Lebensgeschichte, doch der Weg von Andreas Marquardt, geboren 1956 im notorischen Berliner „Problembezirk“ Neukölln, ist noch ein paar Ecken komplizierter. Als Kind wurde Marquardt jahrelang von seiner Mutter missbraucht, die ihn erst nötigte sie zu berühren, ihn onanierte und später zu „richtig hartem Sex mit allem drum und dran“ drängte, wie es Marquardt einmal selbst formuliert. Doch wie Marquardt gesteht, war spätestens dann nicht mehr viel Zwang notwendig, hatte er als 12jähriger tatsächlich gern Sex mit seiner Mutter und fühlte gleichzeitig, wie falsch das war.

Psychologisch simpel erklärt Marquardt und mit ihm der Film seinen weiteren Lebensweg, der von einem grundsätzlichen Hass auf Frauen geprägt war: abdriften in die Berliner Unterwelt, zunächst als Geldeintreiber aktiv, später als Zuhälter, der mehrere Frauen für sich arbeiten ließ, die er mit Zuckerbrot und Peitsche gefügig machte und deren Wert er danach bemaß, wie viel Geld sie einbrachten. Besonders ergiebig war das Geschäft mit Marion Erdmann, die Marquardt mit 16 Jahren „entdeckte“. Doch bis sie volljährig wurde musste er warten, bis sie für ihn anschaffen gehen konnte, was sie in für Außenstehende kaum nachvollziehbarer Hörigkeit trotz aller Erniedrigungen durch Marquardt auch jahrelang tat. Trotz allem sind die Beiden immer noch ein Paar, überstand ihre Beziehung auch die acht Jahre, die Marquardt im Gefängnis verbrachte, nachdem er eine Prostituierte krankenhausreif geprügelt hatte. Später begann er eine Therapie beim Psychologen Jürgen Lemke, auf dessen Buch dieser Film basiert.

Kaum einen anderen deutschen Regisseur als Rosa von Praunheim könnte man sich eher als Regisseur für einen Film vorstellen, der sich so tief in die dunkle Seite der menschlichen Natur bewegt und dabei doch soviel Empathie für einen gelinde gesagt schwierigen Menschen aufbringt. Wobei es von Praunheim gelingt, auf dem schmalen Grad zwischen Verständnis für die Folgen eines durch Missbrauch fehlgeleiteten Lebens und Entschuldigung für einen harten Kerl aus der natürlich stets faszinierenden Halbwelt, auf der richtigen Seite zu bleiben.

Dass zwangsläufig etwas Gestelzte der Spielszenen eines an sich dokumentarischen Films werden hier zum positiven Merkmal: distanziert und wertneutral zeigt von Praunheim die Erlebnisse Marquardts, in karg ausgestatteten Szenen, in denen Hanno Koffler, Luise Heyer, Katy Karrenbauer in den Rollen von Marquardt, seiner Freundin Marion und der dominanten Mutter überzeugen. Man mag bemängeln, dass die Läuterung Marquardts ein wenig zu glatt dargestellt wird, der Weg aus der Gewalt zum Menschenfreund, der Charity-Projekte leitet und sich gegen Missbrauch einsetzt, etwas zu rund verläuft. Ob es in Wirklichkeit so einfach war sei dahingestellt, doch trotz dieser offenen Fragen ist Rosa von Praunheim mit „Härte“ ein spannender Film gelungen, der sich mit offenem, nie voyeuristischem Blick einer höchst ungewöhnlichen Persönlichkeit nähert.
 
Michael Meyns