Happy Burnout

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Der als Burnout beschriebene Erschöpfungszustand ist zusammen mit Depressionen wohl das typischste seelische Leiden in unserer Gesellschaft. Bei André Erkaus dramatischer Komödie „Happy Burnout“ lässt bereits der widersprüchliche Titel erahnen, dass die Auseinandersetzung mit der Symptomatik nicht allzu erdenschwer ausfällt. Der „Tatort“-Ermittler und neue Old Shatterhand Wotan Wilke Möhring täuscht als Alt-Punk einen Burnout vor, um sich vor der Arbeitswelt zu drücken - und gewinnt bei einer stationären Therapie eine neue Sicht auf sein Lotterleben. Regisseur Erkau inszeniert aus der pfiffigen Idee eine kurzweilige Komödie, die zur Reflektion eines wichtigen Themas anregt.

Webseite: www.happyburnout-derfilm.de

Deutschland 2017
Regie: André Erkau
Drehbuch: Gernot Gricksch
Darsteller: Wotan Wilke Möhring, Kostja Ullmann, Torben Liebrecht, Michael Wittenborn, Julia Koschitz, Anke Engelke, Victoria Trauttmansdorff, Marleen Lohse u.a.
Laufzeit: 90 Min.
Verleih: Warner Bros.
Kinostart: 27. April 2017

FILMKRITIK:

Der Alt-Punk Stefan (Wotan Wilke Möhring), Spitzname „Fussel“, schlawinert sich durch sein Leben in einem Brennpunktkiez. Anstatt eine geregelte Arbeit auszuüben, zeltet er lieber in seiner Wohnung oder flirtet Frauen auf der Straße an. Das Geld für den Lebensunterhalt kommt vom Jobcenter, wo ihm die naive Frau Linde (Victoria Trauttmansdorff) sämtliche Arbeitsangebote vom Leib hält, weil sie ihm die herzerwärmende Lüge glaubt, dass er sich für seine hilflosen Nachbarn aufopfert. Fussels gemütliches Leben endet, als der jahrelange Müßiggang auffliegt und die Arbeitsvermittler ihn sanktionieren wollen. Also besorgt ihm Frau Linde ein Attest, dass Fussel ironischerweise einen Burnout bescheinigt und ihm einen stationären Klinikaufenthalt verschreibt.
 
Während der Zwangstherapie lernt Fussel neben der Psychologin Alexandra (Anke Engelke) vier Mitpatienten kennen, die alle ein schweres Päckchen mit sich herumtragen: Der eine ist suizidal, der andere rastet schnell aus, die nächste ist eine überanstrengte Hausfrau und Mutter, der vierte ein karrieresüchtiger Workaholic. Im Angesicht der echten Probleme überdenkt Fussel über kurz oder lang auch sein eigenes Leben. Warum zur Hölle trägt er noch den Spitznamen aus Schulzeiten? Sollte er langsam erwachsen werden? Kann seine kleine Tochter die lange Abwesenheit verzeihen?
 
Das Drehbuch von Gernot Gricksch thematisiert das seelische Leid der Figuren in kurzen Rückblenden, die kaum über Gemeinplätze hinauskommen. Am ehesten gewinnt noch der von Michael Wittenborn („Toni Erdmann“) gespielte Sonnenstudio-Betreiber Günther ein Profil. Lange schweigt er, während die absurd geschminkten Verbrennungen in seinem Gesicht Bände sprechen. Schließlich wird sein Krankheitsverlauf aber oberflächlich abgehandelt. „Happy Burnout“ ist eben mehr Komödie als Drama – und wird seiner Thematik nur halb gerecht.
 
Inszenatorisch geht Regisseur André Erkau ebenfalls kaum über das Gewöhnliche hinaus und entwickelt „Happy Burnout“ als Wohlfühl-Film mit Hochglanzbildern und trivialen Konflikten. Filmisch gestaltete Szenen wie jene, in der Erkau statt eines Redeschwalls von Fussel nur Musik und die Reaktionen der Zuhörer ins Bild setzt, bleiben die Ausnahme. Auch die ungemütliche Szene, in der sich eine Patientin einen Stift ins Ohr rammt, steht allein auf weiter Flur.
 
Der Ansatz, den Leistungsdruck der modernen Gesellschaft und das damit verbundene Phänomen Burnout in einem leichten Unterhaltungsfilm zu behandeln, ist nicht unbedingt schlecht. Lachen ist ja sprichwörtlich die beste Medizin. Einige lustige Szenen und der gut aufgelegte Wotan Wilke Möhring, der in seiner Jugend übrigens tatsächlich ein Punk war, lassen die erzählerische Fadheit verschmerzen. Das funktioniert besonders am Anfang, bevor Fussel seinen Lebenswandel hinterfragt und das gesellschaftliche Regelwerk schluckt.
 
Christian Horn