Mary – Königin von Schottland

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Wenn der Schweizer Regisseur Thomas Imbach sich eine historische Figur wie Maria Stuart vornimmt, kann man sicher sein, dass dabei kein herkömmliches Historien-Drama herauskommt. Schließlich hat ihn bisher immer eher das Innenleben seiner Figuren interessiert. Sein Porträt der unglücklichen Monarchin prunkt also nicht mit Schauwerten. Aber die Reduktion auf das Wesentliche zeitigt eine Nähe, die selten ist im historischen Spielfilm. In der Hauptrolle glänzt die französich-englische Nachwuchsdarstellerin Camille Rutherford.

Webseite: www.one-filmverleih.de

Schweiz/Frankreich 2013
Regie: Thomas Imbach
Buch: Thomas Imbach, Andrea Staka, Eduard Habsburg
Darsteller: Camille Rutherford, Sean Biggerstaff, Aneurin Banard, Edward Hogg, Mehdi Dehbi, Tony Curran
Länge: 120 Minuten
Verleih: One Filmverleih
Kinostart: 20. November 2011
 

FILMKRITIK:

Schon als Kind wurde Maria Stuart (Camille Rutherford) zum Spielball politischer Mächte. Im zarten Alter von sechs Tagen wurde sie nach dem frühen Tod ihres Vaters zur Königin Schottlands. Die Verhältnisse in ihrer Heimat waren aber so verworren, dass ihre Mutter sie in Sicherheit nach Frankreich brachte. Hier wurde sie mit ihrem späteren Ehemann im Bewusstsein erzogen, Anspruch auf den schottischen, französischen und englischen Thron zu haben. Tatsächlich bestieg sie zusammen mit Franz II. den französischen Thron; aber der schwache Jüngling starb schon bald darauf. 1561 kehrte Maria in ihre schottische Heimat zurück. Das Land war durch die Reformation gespalten, Maria gelang es nicht, es zu befrieden. Zu ihrer entfernten Verwandten Elizabeth, der Königin von England, hatte sie ein gemischtes Verhältnis: Einerseits sah sie in der mächtigen Monarchin eine Seelenverwandte, sich selbst andererseits aber als legitime Erbin des englischen Throns. Mary heiratete zweimal unglücklich, wurde schließlich Gefangene ihrer eigenen Lords und nach England ausgeliefert. Elizabeth ließ sie nach 19 Jahren Gefangenschaft hinrichten. Die beiden Frauen waren sich nie begegnet.
 
Es verwundert, dass Mary mit ihrem einzigartigen Schicksal nicht schon öfter Stoff von Spielfilmen war. Aber meist spielt sie eine Nebenrolle in Hochglanzverfilmungen von Elizabeths Leben. Regisseur Thomas Imbach sagt, er habe sich durch die Unbedingtheit ihrer Leidenschaften und Lebensführung angezogen gefühlt. Das Pathos Schillers und seines Stücks über Maria war ihm naturgemäß fremd, schließlich hat sich Imbach mit naturalistischen Filmen wie „Happiness is a Warm Gun“ (2001) über Petra Kelly und Gert Bastian einen Namen gemacht. In Stefan Zweig und seinem historischen Roman „Maria Stuart“ fand er eine geeignetere Quelle. Auch Zweig war an den psychologischen Dimensionen der Figur interessiert.
 
„Mary, Königin von Schottland“ ist allerdings keine Literaturverfilmung. Imbach findet seinen eigenen Zugang zu der Geschichte, der von Zweig nur inspiriert ist. Bei Thomas Imbach und seinem Ko-Autor Eduard Habsburg-Lothringen, einem späten Verwandten der Königin, übernimmt der innere Monolog die Aufgabe, Marys Gefühlswelt zu transportieren. Voll zum Tragen kommt so der Widerspruch zwischen innerem Gefühl und äußeren Verhältnissen.
 
Für Mary besteht kein Zweifel daran, dass sie eine große Monarchin ist. In Wirklichkeit hat sie in einem kleinen, nebligen Land im Norden Europas mit einem widerspenstigen Volk zu kämpfen, und viele ihrer Entscheidungen helfen nicht gerade bei der Festigung ihrer Macht. Mary folgt ihrem Herzen. So wirkt Imbachs Hauptfigur nicht wie die perfekt geschriebene Figur eines Dramas, sondern wie eine tatsächlich innerlich zerrissene Persönlichkeit, die sehr nah an den Zuschauer heranrückt. Dazu trägt auch die Konzentration der filmischen Sprache bei, die frei von jedwedem Pomp zum Kern der Dinge vorstößt. Die Handkamera nimmt dem Film alles Kulissenhafte und überbrückt die Jahrhunderte. Der Stil erinnert an Cary Fukunaga, der so auch seiner „Jane Eyre“ (2011) die Theatralik nahm. So wird aus einem Stück europäischer Herrschaftsgeschichte eine packendes psychologisches Drama um eine überraschend moderne Frau, die in ihrer Zeit gefangen ist.
 
Oliver Kaever