Voices of Violence

Zum Vergrößern klicken

In Deutschland haben die Übergriffe in der Kölner Neujahrsnacht das Thema sexuelle Gewalt zumindest für den Moment an die Tagesordnung gebracht. In Teilen Afrikas, etwa der DR Kongo, sind Missbrauch und Vergewaltigungen Teil des Lebens, wie Claudia Schmid in ihrer Dokumentation "Voices of Violence" zeigt, mit der sie den Frauen eine Stimme gibt. Oft schwer zu ertragen, aber unbedingt notwendig.

Webseite: www.mindjazz-pictures.de

Deutschland 2015 - Dokumentation
Regie, Buch: Claudia Schmid
Länge: 90 Minuten
Verleih: Mindjazz Pictures
Kinostart: 10. März 2016
 

FILMKRITIK:

Im Herzen Afrikas liegt die Demokratische Republik Kongo, der zweitgrößte Staat des Kontinents und angesichts seiner Rohstoffvorkommen potentiell einer der reichsten. Nicht zuletzt dieser unermessliche Reichtum machte den Kongo zum begehrten Schatz, angefangen bei den belgischen Kolonisatoren, über die langjährige Diktatur Joseph Mobutus und seiner mehr oder weniger demokratischen Nachfolger. Das riesige Staatsgebiet macht eine Kontrolle der Grenzregionen praktisch unmöglich, die oft zudem an von eigenen Bürgerkriegen geplagte Nachbarstaaten wie Ruanda, Südsudan oder Angola angrenzen und so Rückzugsgebiet von Truppen sind.

Und wie in allzu vielen Kriegsgebieten sind auch im Kongo die Frauen besondere Opfer der Kriegshandlungen, werden Vergewaltigung und andere Formen des Missbrauchs als Kriegswaffe eingesetzt, die auch lange nach abebben des eigentlichen Kriegs nachwirken. Wie diese Frauen leben, wie sie die Folgen von Massenvergewaltigungen verarbeitet haben, wie sie versuchen, wieder ein mehr oder weniger normales Leben zu führen, versucht Claudia Schmid in ihrer Dokumentation "Voices of Violence" nachzuzeichnen.

Schon die ersten zehn Minuten machen das ganze Ausmaß des Grauens deutlich und sind kaum zu ertragen. Wenn man sagt, dass Massenvergewaltigungen nicht zum schlimmsten zählt, was diese Frauen erlitten haben, kann man sich vorstellen was hier passiert ist: Von gezwungenem Ermorden von Angehörigen, dem Herausschneiden von Babys aus dem Bauch der Mutter, erzwungenem Kannibalismus berichten die Frauen, deren Qual aber auch nach diesen kaum vorstellbaren Leid nicht vorbei war.

Denn die erzkonservativen Strukturen des Landes bestrafen die Frauen gleich nochmal: Als Vergewaltigte, die möglicherweise auch noch von ihren Peinigern schwanger sind, werden die Frauen fast immer von ihren Männer verstoßen und müssen sich und ihre Kinder allein durchbringen, was sie in den ländlichen Regionen, aber auch in den riesigen Flüchtlingslagern  zu Freiwild macht. Und ihre unehelichen Kinder ebenfalls zu ausgestoßenen, was auch die nächste Generation zu Opfern des Missbrauchs macht.

Es ist die große Stärke von Claudia Schmids Film, all diese Strukturen aufzuzeichnen, sie angesichts des Themas auf erstaunlich dokumentarische, nicht sensationalistische Weise darzustellen und die Fakten für sich sprechen zu lassen. Keine Bilder von Gräueltaten sind - dankenswerterweise - zu sehen, allein Stimmen sind zu hören, Stimmen der Gewalt. Was in diesem Fall nicht nur die Stimmen der Frauen bedeutet, die Gewalt erlitten haben, sondern auch die von ganz normalen Männern, die mit erschreckender Beiläufigkeit berichten, welchen Stellenwert Frauen für sie haben: Gehorchen soll eine Frau, dem Mann dienen, ihre Arbeit erfüllen, sonst wäre der Brautpreis - oft eine Kuh - ja verschwendet. Vergewaltigung gäbe es hier nicht meint ein junger Mann, er habe den Verdacht, die Frauen wollen es eigentlich und würden nur im Nachhinein behauptet, missbraucht worden zu sein. Nicht alle, aber viele Männer in der Region scheinen so zu denken, worin eine Ursache der völligen Missachtung der Rechte der Frauen zu suchen ist. Die Abgründe, die Claudia Schmid in den kaum 90 Minuten ihrer Dokumentation "Voices of Violence" aufzeigt sind oft schwer zu ertragen, sie anzuhören aber unbedingt notwendig.
 
Michael Meyns