Whiplash

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Weniger ein Film über Jazz als ein Film über den Preis des Erfolgs ist Damien Chazelles „Whiplash“, der ein meist psychisches, manchmal aber auch physisches Duell zwischen einem jungen Musiker und seinem Lehrer inszeniert. Mitreißend inszeniert und gespielt, aber von einer befremdlichen Ideologie durchzogen in der Kunst zum Hochleistungssport reduziert wird.

Webseite: www.whiplash-film.de

USA 2014
Regie, Buch: Damien Chazelle
Darsteller: Miles Teller, J.K. Simmons, Paul Reiser, Melissa Benoist, Austin Stowell, Nate Lang, Chris Mulkey
Länge: 107 Minuten
Verleih: SONY
Kinostart: 19. Februar 2015
 

Pressestimmen:

"...erzählt packend von der Lehrzeit eines Drummers. ...Ein wuchtiges Stück Kino, so physisch, wie ein Film nur eben sein kann. Eine großartige Hymne auf jene Menschen, die bereit sind, für ihre Kunst alles zu geben."
KulturSPIEGEL

"Ein energetisches Drama um Kunst und Perfektion, um Leiden und Leidenschaft, das Puls und Hirn beschleunigt. So viel Wumms hatte Kino lange nicht."
Stern

FILMKRITIK:

Andrew Neiman (Miles Teller) ist ein junger Schlagzeuger, der an einer New Yorker Musikschule studiert. Sein größter Traum ist es, in die Klasse von Terence Fletcher (J.K. Simmons) aufgenommen zu werden, die als Sprungbrett für Karrieren gilt. Bald wird dieser Traum erfüllt, doch damit beginnt ein zunehmend hitziges Duell zwischen Lehrer und Schüler, denn die Methoden Fletchers sind ungewöhnlich: Um das Beste aus seinen Studenten herauszuholen, um sie zu mehr zu machen als sie sind, ist Fletcher jedes Mittel recht. Mit Beschimpfungen, psychologischer Manipulation und manchmal auch handgreiflichen Methoden triezt er die jungen Musiker und findet in Andrew ein williges Opfer. In seinem Bestreben, ein herausragender Schlagzeuger zu werden, nimmt Andrew jegliche Demütigung hin, spielt trotz blutiger Finger und nah der Erschöpfung und ist bereit, alles für die Musik aufzugeben.

Wie ein Remake von „Full Metal Jacket“ im Jazz-Milieu mutet Damien Chazelles zweiter Film „Whiplash“ oft an. Wie ein Drill Instructor, ein erbarmungsloser Schleifer in der Armee wirkt der von J.K. Simmons gespielte Fletcher, der seine Studenten mit ausgesuchten Beleidigungen zu Höchstleistungen antreiben will. Oft nur wenige Takte lässt er Kandidaten vorspielen, bevor er ihr mangelndes Talent erkennt, jede winzige Ungenauigkeit kann cholerische Wutausbrüche hervorrufen, von Widerworten ganz zu schweigen. Als Gegenpol zu Fletcher fungiert der junge Student Andrew Neiman, der es seinem Vater, seinen Verwandten, ja der ganzen Welt beweisen will. Und für den Erfolg ist er bereit alles aufzugeben, sich erniedrigen zu lassen und mit blutigen Fingern weiterzuspielen. Mitreißend gespielt ist das von beiden Darstellern (J.K. Simmons gilt als Favorit für den Oscar als Bester Nebendarsteller), rasant geschnitten und ohne Frage sehenswert.

Doch trotz aller Qualitäten hinterlässt „Whiplash“ ein befremdliches Gefühl. Auch wenn Damien Chazelle seinen Film in der Welt des Jazz ansiedelt, es um brillante Künstler, die Kraft der Musik und den Rausch des Erfolgs geht: Chazelles Blick auf künstlerische Leistungen ähnelt eher dem auf Hochleistungsathleten. Nicht die Fähigkeit zur Improvisation, musikalisches Gespür oder emotionaler Ausdruck streben die Musiker in „Whiplash“ an, sondern mechanisches, präzises Spiel nach Noten. Nicht subjektive Schönheit, sondern objektiv messbare und damit auch trainierbare Qualitäten scheinen hier „gute“ Musik auszumachen.

So weit zu gehen, zu behaupten, dass ein jeder durch intensives Training ein herausragender Musiker werden kann, geht Chazelle zwar nicht. Doch in der Welt der Musik, so wie er sie schildert, ist manischer, obsessiver Ehrgeiz der einzige Weg zum Erfolg. Und dafür sind alle Mittel recht und auch notwendig, denn am Ende erweist sich Fletchers Methode als Weg zu Andrews Erfolg. Was ein Musiker bzw. allgemeiner gesprochen ein Künstler bereit ist, für den Erfolg aufzugeben, ist zwar eine ebenso interessante Frage wie die, ob ein herausragender Künstler unbedingt ein sympathischer Mensch sein muss. Doch Chazelle geht es weniger um Kunst als Ausdrucksmittel oder gar als ästhetisches Vergnügen. In „Whiplash“ ist das Einzige das zählt, der – möglichst objektiv messbare – Erfolg. Da verwundert es nicht, dass eine Einstellung, in der Andrew seine blutigen Hände in Eiswasser kühlt, auch in „Rocky“ nicht fehl am Platz wäre, denn in Chazelles Augen ist Kunst nichts anderes als ein Hochleistungssport.
 
Michael Meyns