1000 Arten Regen zu beschreiben

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Einen spannenden Ansatz wählt Isa Prahl für ihren Debütfilm „1000 Arten Regen zu beschreiben“, den sie nach einem Drehbuch von Karin Kaci inszeniert: Der Sohn einer Familie hat sich in seinem Zimmer eingeschlossen, seine Abwesenheit prägt die Familie, ohne dass die Ursachen für seine extreme Entscheidung klarwerden. Ein ungewöhnlicher, bisweilen manierierter Film.

Webseite: www.filmkinotext.de

Deutschland 2017
Regie: Isa Prahl
Darsteller: Bibiana Beglau, Bjarne Mädel, Emma Bading, Louis Hoffmann, Janina Fautz, David Hugo Schmitz
Länge: 92 Minuten
Verleih: Film Kino Text
Kinostart: 29. März 2018

FILMKRITIK:

Mike, gerade 18 geworden, kommt nicht mehr aus seinem Zimmer. Das ist für einen Teenager zwar vielleicht keine ungewöhnliche Entscheidung, doch in Mikes Fall sieht die Sache etwas anders aus: Denn Mike kommt wirklich nicht mehr aus seinem Zimmer, isoliert sich vollkommen, ignoriert die Bitten, das Flehen seiner Eltern und Schwester, sich zu zeigen. Nur nachts huscht er ab und zu nach draußen, für dringende Bedürfnisse, etwas zu essen, mehr nicht.
 
Draußen, vor der Tür, geht derweil das Leben weiter, zumindest im Ansatz. Die Mutter Susanne (Bibiana Beglau) versucht verzweifelt, eine Antwort für die Entscheidung ihres Sohns zu finden, versucht ihn via Facebook zu erreichen, spricht schließlich einen Klassenkameraden von Mike an. Oliver (Louis Hoffmann) kann ihr allerdings nicht direkt helfen, doch der schüchterne Junge, der nach der Trennung seiner Eltern schon allein wohnt, wird zu einer Art Ersatzsohn, dem Susanne die Zuneigung zukommen lassen kann, die Mike verweigert.
 
Der Vater Thomas (Bjarne Mädel) wiederum, ist zunehmend von Mike genervt, schlägt oft wütend gegen die Tür, will seiner Frau verbieten, Mike immer wieder Essen vor die Tür zu stellen. Er arbeitet als Krankenpfleger, hat also auch beruflich mit Fürsorge zu tun, die er besonders einem fast komplett gelähmten Patienten zukommen lässt, für den er erst einen besonders modernen Rollstuhl besorgt und schließlich auch ein Computersystem, mit dem via Sprachausgabe kommuniziert werden kann.
 
Und schließlich Mikes Schwester Miriam (Emma Bading), die in der Schule erzählt, dass ihr Bruder für einige Monate im Ausland ist. Selbst ihrer besten Freundin Elli (Janina Fautz) hat sie diese Notlüge aufgetischt, aus Angst, dass sie in der Schule noch mehr zur Außenseiterin wird, als sie es ohnehin schon ist. Doch je länger Mike sich isoliert, desto größer wird Miriams Drang, selbst zu leben und aus sich heraus zu gehen.
 
Ein Film, bei dem die eigentliche Hauptfigur, zumindest der Katalysator für sämtliche Ereignisse, nie zu sehen ist: Dieser ungewöhnliche Ansatz macht Isa Prahls Debütfilm interessant. Ein manieriertes Konzept ist dies ohne Frage, eine künstliche Konstruktion, auch wenn sie im Ansatz auf einem Phänomen basiert, das in Japan hunderttausende Jugendliche betreffen soll. Hikikomori heißt es dort, wenn sich Jugendliche isolieren, die Einsamkeit suchen, sich von Eltern, Freunden, der Gesellschaft zurückziehen. Die Gründe für solch eine extreme Handlung, die in Zeiten zunehmender Vernetzung, der Möglichkeit, via Online-Bestellungen praktisch alles nach Hause geliefert zu bekommen, was man zum Leben benötigt, überhaupt erst machbar erscheinen, sind vielfältig.
 
Und wird in Karin Kacis Drehbuch gar nicht erst gestellt. Was Mike antreibt bleibt offen, viel mehr interessiert sich der Film für die Folgen, die diese Entscheidung auf seine Familie hat. Auf unterschiedliche Weise gehen die Eltern und die Schwestern mit der Situation um, mit den Vorwürfen, die sie sich machen, beim Versuch, ein eigenes Leben weiterzuleben und am Ende doch irgendwie die Familie zu retten. Die Lösung, die sie schließlich finden, ist ebenso extrem wie logisch, sicherlich ein Konstrukt, aber das passende Ende eines Films, der auf offensive Weise seine Künstlichkeit benutzt, um von Menschen und ihren oft nicht nachzuvollziehenden Entscheidungen zu erzählen.
 
Michael Meyns