Die schönste Zeit unseres Lebens

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Seit dem Sensationserfolg von „Ziemlich beste Freunde“ schwappen reichlich Komödien aus Frankreich in die hiesigen Kinos, häufig mit dem Verweis auf soundso viele Kinogäste in Frankreich. Und leider ebenso oft in Form austauschbarer Hochglanzfilme, denen das für das frühere französische Kino typische Herz fehlt. Der Schauspieler, Autor und Regisseur Nicolas Bedos konnte sich mit seinem Erstlingswerk „Die Poesie der Liebe“ nicht astrein aus dem Einheitsbrei absetzen. Mit seinem zweiten Film „Die schönste Zeit unseres Lebens“ gelingt es Bedos hingegen, die vielen originellen Ideen als flott-unterhaltsame Romanze mitsamt inszenierter Zeitreise umzusetzen. Das Ergebnis rettet den allmählich verblassenden Ruf französischer Filme für 110 Minuten und hat mit Daniel Auteuil („Caché“) sowie Fanny Ardant („8 Frauen“) zwei echte Stars an Bord.

Webseite: www.constantin-film.de

OT: La belle époque
Frankreich 2019
Skript & Regie: Nicolas Bedos
Darsteller/innen: Daniel Auteuil, Guillaume Canet, Doria Tillier, Fanny Ardant, Pierre Arditi, Denis Podalydès, Michaël Cohen, Jeanne Arènes, Bertrand Poncet
Laufzeit: 110 Min.
Verleih: Constantin Film
Kinostart: 28. November 2019

FILMKRITIK:

„Früher war alles besser!“ Wohl kaum einer personifiziert diese klischeehafte Lebenseinstellung mit solcher Inbrunst wie der widerborstige Comiczeichner und Karikaturist Victor (Daniel Auteuil). Der Mann hat in der digitalisierten Welt den Anschluss verpasst hat und es sich zur Aufgabe gemacht, alle anderen ebenfalls runter zu ziehen. Victors Ehefrau Marianne (Fanny Ardant), eine gefragte Psychoanalytikerin, findet sich hingegen bestens im digitalen Blätterwald zurecht und bleibt in den sozialen Netzwerken immer auf dem aktuellsten Stand. Schon die Eröffnungsszene macht klar, dass das Kind bei diesem analog-digitalen und völlig entfremdeten Ehepaar längst in den Brunnen gefallen ist. So wundert es nicht, dass Marianne ihren Victor nach 45 Ehejahren „urplötzlich“ vor die Tür setzt. Immerhin turtelt sie schon seit einer Weile mit Victors bestem Kumpel François (Denis Podalydès), bei dem der Geschasste vorübergehend unterkommt, ohne etwas von der Affäre zu ahnen.
 
An dieser Stelle könnte „Die schönste Zeit unseres Lebens“ in eine x-beliebige Romantik-Tragikomödie münden, zumal der Autor und Regisseur Nicolas Bedos mit seinem ersten Film „Die Poesie der Liebe“ ein leidlich gelungenes Liebesdrama abgeliefert hat. Bedos' zweiter Spielfilm weist einige Parallelen zum Debüt auf: Erneut stehen Anfang und Ende einer Liebe im Mittelpunkt, abermals spielen die Dekors und Kostüme eine wichtige Rolle. Beim zweiten Versuch gelingt Bedos die in den Grundzügen nicht unähnliche Geschichte indes deutlich besser, weil er diesmal überraschender, flotter und kreativer inszeniert.
 
Der Clou der Story ist die Idee, die auf den Rausschmiss folgt: Victor löst einen Gutschein ein, den er von seinem Sohn Maxime (Michael Cohen) erhalten hat und der ein spezielles Zeitreise-Angebot beinhaltet, das der findige Antoine (Guillaume Canet) veranstaltet. Gäste mit dem nötigen Kleingeld können sich eine beliebige Zeit aussuchen, die Antoine akkurat mit Einrichtungen und Schauspieler/innen in Szene setzt. Victor entscheidet sich für eine Nachstellung seiner ersten Begegnung mit Marianne, die am 16. Mai 1974 im Pariser Café „La Belle Époque“ stattfand – halb aus Gründen der Selbstgeißelung, halb aus Sehnsucht. Antoine stellt das Café bis ins kleinste Detail nach und engagiert seine On-off-Freundin Margot (Doria Tillier) als Marianne-Darstellerin. Die Illusion funktioniert: Victor ist von dem Erlebnis so begeistert, dass er das Event immer wieder bucht.
 
Klar, dass die Realität und die Illusion(en) hier munter ineinanderfließen. Die dynamische Art und Weise, in der das geschieht, bringt immer wieder clevere Aha-Momente hervor, wobei die nächste Wendung kaum vorhersehbar ist. Im Kern geht es viel darum, wie Erinnerungen mit zeitlichem Abstand ihr Wesen verändern oder sogar ein Eigenleben entwickeln. Daneben geht es um unsere digitale Welt und deren Unterschiede zu früheren, gar nicht allzu weit entfernten Zeiten. Der Konflikt zwischen alter und neuer Kommunikation manifestiert sich im (Ex-)Ehepaar Victor und Marianne, die dem Smartphone-Zeitalter völlig gegensätzlich gegenüberstehen. Nicolas Bedos, aus dessen Feder auch das Skript stammt, schlägt sich dabei glücklicherweise auf keine Seite. Stattdessen regt sein Film bei aller flotten, oft komischen und dann wieder tiefschürfenden Unterhaltung zum Nachdenken über den eigenen Medienkonsum und eigene schiefe Erinnerungen an.
 
Christian Horn