Jahrhundertfrauen

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Ein vergnüglich-verspielter neuer Streich des amerikanischen Independent-Filmers Mike Mills, dem mit „Thumbsucker“ einst ein cleveres Kinodebüt gelang. Annette Bening gibt großartig wie gewohnt die alleinstehende Mama mit Erziehungssorgen. Den fehlenden Vater-Ersatz sollen fortan zwei Freundinnen bieten. Nach anfänglichem Widerstand findet der sensible Teenager die geballte Frauen-Power gar nicht so übel. Neben der gekonnt erzählten Coming-of-Age-Geschichte - das Drehbuch war auch für den Oscar nominiert - wird ein zauberhaftes Zeitgeist-Kaleidoskop der späten 70er Jahre geboten samt pfiffiger Dialoge. Originelles Indie-Kino für Herz und Kopf!   

Webseite: jahrhundertfrauen-film.de

USA 2016
Regie: Mike Mills
Darsteller: Annette Bening, Greta Gerwig, Elle Fanning, Lucas Jade Zumann, Billy Crudup
Filmlänge: 118 Minuten
Verleih: Splendid Film GmbH, Vertrieb: Die Filmagentinnen
Kinostart: 18.5.2017
PRESSESTIMMEN:

„Sollten Sie vorhaben, dieses Jahr nur ein einziges Mal ins Kino zu gehen, dann bitte in diesen Film. Besser geht's nicht. Starke, unvergessliche Frauenfiguren, mit Liebe und schlauem Witz gezeichnet und wunderbar gespielt. Gehört ab sofort zu meinen ewigen Lieblingsfilmen.“
BRIGITTE

FILMKRITIK:

Von dem deutschen Filmtitel sollte man sich nicht irritieren lassen. Dies ist kein bebilderter Wikipedia-Artikel über weibliche VIPs, sondern der nächste, gelungene Komödien-Streich von Indie-Filmer Mike Mills („Beginners“), der es mit seinem Drehbuch diesmal bis ins Oscar-Rennen geschafft hat. Erzählt wird die Geschichte der alleinerziehenden Mutter Dorothea Fields (Annette Bening), die im Kalifornien Ende der 70-er Jahre mit der Erziehung des heranwachsenden Sohnes Jamie ins Stolpern kommt. Um den fehlenden Mann im Haus zu ersetzen, baut Mama spontan auf Frauen-Power: Die selbstbewusste Fotografin Abbie (Greta Gerwig) sowie Teenager Julie (Elle Fanning), die beste Freundin ihres Sohnes seit Kindergarten-Tagen, sollen fortan solidarisch bei der Erziehung mithelfen. Der sensible Jamie reagiert zunächst nicht unbedingt begeistert auf diese unorthodoxe Pädagogik-Maßnahme, aber er lässt sich auf den Deal ein und erkennt fortan schnell die Vorteile als Hahn im Korb.
 
Mit zwei verschiedenen Erzählerstimmen (von der Mutter und vom Sohn) sowie raffiniert eingebauten Rückblenden wird die Coming-of-Age-Geschichte kunstvoll konstruiert und ganz nebenbei ein Zeitgeist-Kaleidoskop geboten. Sei es mit jener berühmten TV-Rede von Jimmy Carter, der engagiert den Konsum und die Gier seiner Landsleute geißelt. Oder mit den Problemen, die man als bekennender Fan der ziemlich intellektuellen „Talking Heads“ in der Provinz bekommen kann. Im Kern steht freilich das Familienleben, das von kleinen Alltagsproblemen bis zu großen dramatischen Einschnitten wie Krebserkrankungen stets mit lässig lakonischem Humor beleuchtet wird. „Alter ist ein bürgerliches Konstrukt!“, sagt Jamie etwa zu jener älteren Dame, die er im Mutproben-Auftrag seiner Freundin in einer Bar anmachen soll. Ähnlich situationskomisch gerät ein Abendessen der gesamten Patchwork-Familie, bei dem eine winzige Welle sehr intimer Geständnisse schier zum Peinlichkeits-Tsunami gerät. Jamie kann allerdings einiges vertragen, schließlich wird er von Punk-Frau Abbie regelmäßig mit der aktuellen Literatur des Hardcore-Feminismus versorgt.
 
Das ausgesprochen hübsch entwickelte, zudem psychologisch plausible Figurenkabinett wird von einem exzellenten Ensemble verkörpert, dem die Spielfreude spürbar anzumerken ist. Allen voran Annette Bening, die einmal mehr mit großartiger Leinwandpräsenz beweist, dass sie trotz vier vergeblicher Oscar-Anläufe zu den besten Darstellerinnen ihrer Generation gehört. Nicht minder überzeugend agieren ihre jungen Frauenpower-Kolleginnen Greta Gerwig („Maggies Plan“) als übercoole Rebellin mit Herz und Elle Fanning („The Neon Demon“) als verletzlicher Teenie mit Weltschmerz samt Schwangerschaftssorgen. Auch Newcomer Lucas Jade Zumann („Sinister 2“) schlägt sich absolut wacker als überzeugendes Sensibelchen in diesem Girlie-Trio.
 
Für zusätzliches Vergnügen sorgt neben den gut geschliffenen Dialogen ein Sahnehäubchen-Soundtrack, der von David Bowie über The Clash und Devo bis zu den Talking Heads reicht. Bevor die Nostalgie allzu heimelig ausfällt, gibt es aus Muttis Erzählermund die warnende Vorhersage: „Sie ahnen nicht, dass dies das Ende des Punk ist. Sie wissen nicht, dass Reagan kommt und Bush und Clinton“.
 
Wie schon bei „Thumbsucker“ und „Beginners“ gilt für den talentierten Mister Mills erneut: Originelles Indie-Kino für Herz und Kopf!

Dieter Oßwald