Um Gottes Willen

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Flott erzählt und mit vielen Überraschungen – eine einfallsreiche Komödie mit zahlreichen Seitenhieben auf moderne Weltbilder und Lebensentwürfe: Der erfolgreiche Herzchirurg Tommaso erfährt, dass sein Sohn Andrea Priester werden will. Ein Schock für den überzeugten Atheisten. Das Kinodebüt des Schauspielers und Autors Edoardo Falcone ist ein Appell zur Besinnung und zur Mitmenschlichkeit; alles hübsch in eine turbulente Handlung verpackt, gut gespielt und mit hinreißend witzigen Dialogen. Vielleicht ein kleiner Kinosommer-Arthouse-Geheimtipp?

Webseite: www.kairosfilm.de

Originaltitel: Se Dio vuole
Italien 2015
Regie: Edoardo Falcone
Drehbuch: Edoardo Falcone, Marco Martani
Darsteller: Marco Giallini, Alessandro Gassmann, Enrico Oetiker, Laura Morante, Ilaria Spada, Edoardo Pesce, Giuseppina Cervizzi
Verleih: KAIROS Film
Kinostart: 5. Juli 2018
Original mit deutschen Untertiteln

PREISE/AUSZEICHNUNGEN:

Italienischer Filmpreis „David di Donatello“: Bester Debütregisseur

Filmtournee Cinema Italia: Publikumspreis

FILMKRITIK:

Im OP und außerhalb ist Tommaso eine einwandfrei funktionierende Menschmaschine. Er kümmert sich um seinen Job und ansonsten um nichts und niemanden, auch nicht um seine Frau Carla. Als echter italienischer Old School-Macho erfüllt Tommaso seine häuslichen Repräsentationspflichten und nimmt nebenbei gern die Schleimereien seines Schwiegersohns Gianni entgegen, der mit Tochter Bianca nebenan wohnt. Doch eines Tages droht Unheil. Tommaso hatte es schon länger vermutet, aber nun ist der Moment gekommen: Sein Sohn Andrea möchte vor der ganzen Familie eine Erklärung abgeben. Tommaso ist sicher, dass Andrea sich als schwul outen wird. So trifft es ihn wie ein Blitzschlag, als Andrea verkündet, dass er sein Medizinstudium aufgeben will, um Priester zu werden. Wie konnte das geschehen? Hatte Tommaso nicht alles getan, um Andrea streng atheistisch zu erziehen? Und nun so ein vollkommen unzeitgemäßer Beruf? Jemand muss dafür verantwortlich sein, und der Schuldige ist bald entdeckt – Don Pietro, ein unkonventioneller Geistlicher, der bei jungen Leuten sehr beliebt ist. Mit List und Tücke macht sich Tommaso an den Priester heran und schmiedet einen Plan, wie er Andrea zurückgewinnen kann. Zu Hause braut sich derweil einiges zusammen. Andrea gibt Bianca ein paar Literaturtipps, so dass sie beginnt, in der Bibel zu lesen. Carla entdeckt, dass sie mit ihrem Sohn besser sprechen kann als mit ihrem Mann, und beschließt, ihr Leben zu ändern. Bis Tommaso selbst merkt, dass er eigentlich derjenige ist, der sich am ehesten ändern sollte, sind noch viele Missverständnisse und Überraschungen fällig.
 
Im Lauf der turbulenten Handlung geht es mehr ums Leben an sich als um die Kirche. Der Film ist ein Appell an Liebe und Mitmenschlichkeit, also an die Grundlagen des Glaubens, nicht nur des Christentums. Den Moment zu schätzen, das Leben an sich als etwas Wunderbares zu begreifen, mit sich selbst im Reinen zu sein, Verständnis zu zeigen – all das hört sich selbstverständlich an, ist es aber nicht. In den Irrwegen des Alltags gehen die wesentlichen Dinge des Lebens öfter mal unter, auch bei Tommaso. Er ist ein arroganter Mann, der keine Freunde hat; im Grunde ist er trotz seines Reichtums und seines Erfolges ein armer Kerl. Er weiß es nur nicht. Sein Gegenspieler ist ein einfacher Mann, der nicht nur als Priester originell ist, sondern auch in seinem Glaubensbekenntnis, denn Don Pietro zeigt nicht nur eine Neigung zum Ur-Christentum, sondern auch allgemein zu einer Theologie, die mehr mit Psychologie als mit dem Gebetbuch zu tun hat. Kurz und gut: Der Film ist angenehm unklerikal und hat nur am Rande mit dem Katholizismus zu tun. Die einzige Kirche, die zu sehen ist, muss dringend renoviert werden, und ansonsten gibt es viel zu lachen, auch über religiöse Themen. Wenn Bianca den Zeffirelli-Film über Jesus sieht und ihren Vater bittet, ihr das Ende nicht zu verraten, dann ist das nicht nur komisch, sondern herrlich entlarvend. Dennoch, bei allen meist witzigen Anspielungen und trotz der bissigen Seitenhiebe, bleibt der Film liebenswürdig. Und in seinen leisen Momenten wird er manchmal sogar poetisch.
 
Innerhalb von drei Minuten schafft es Edoardo Falcone, seine Hauptfigur, den herzlosen Herzchirurgen Tommaso, zu charakterisieren. Überhaupt ist der erste Akt ein Musterbeispiel für die Exposition einer gelungenen Komödie: Die Situation und die einzelnen Personen werden kurz und knapp gezeichnet. – Tommaso im Krankenhaus, ein Halbgott in Weiß, umringt von seinen Untertanen, der sogar vor besorgten Angehörigen mit seinen Fähigkeiten angibt. Zuhause trinkt Carla vor dem Essen mal eben die Weinflasche leer, und Tommaso beleidigt nebenbei die Hausangestellte Xenia, so wie er jeden beleidigt, der ihm über den Weg läuft. Da stimmen Tempo und Rhythmus, nichts wirkt übertrieben, die Dialoge kommen schnell und passgenau. Andrea sagt: „Ich habe beschlossen, Priester zu werden.“ – „Dann geh ich mal und putz die Artischocken“, antwortet Xenia wie aus der Pistole geschossen.
 
Tommaso, der Zyniker von Berufs wegen, hat für alles einen boshaften Spruch auf Lager, wirkt dabei dennoch nicht unangenehm. Sein Gegenspieler, Don Pietro, wird zunächst als eine Art charismatischer Rattenfänger eingeführt, der vor seiner jungen Fangemeinde milde lächelnd und voller Verständnis so viel Güte und Freundlichkeit verströmt, dass man vermuten muss: Hier ist was faul! Wie sich die beiden Männer näher kennenlernen, ist ebenso originell wie witzig. Einer der Höhepunkte ist die Inszenierung, die Tommaso dem Pfarrer vorspielt, um sein Vertrauen zu gewinnen. Er gibt vor, dass er arbeitslos und unglücklich ist und von seiner Ehefrau misshandelt wird. Als Ehefrau muss dann die unterdrückte OP-Schwester Rosa herhalten, die sich ganz wunderbar an Tommaso rächt. Marco Giallini spielt den Chirurgen mit der Geschäftsmäßigkeit eines Buchhalters. Er ist der absolute Kopfmensch, der alles rational erklären kann. Auf jede Frage hat er eine ironische Antwort parat, immer in wohlgesetzten Worten, immer treffsicher. Trotz aller Arroganz wirkt er irgendwie sympathisch. Seine Wandlung ist ebenso unauffällig wie überzeugend. Alessandro Gassmann als Don Pietro scheint auf den ersten Blick der geborene Gauner und Charmeur zu sein. Mit seinem gewinnenden Haifischgrinsen sieht er seinem Vater Vittorio Gassman ziemlich ähnlich und hat sowohl dessen gutes Aussehen als auch das beachtliche Talent geerbt. Er ist ein cooler, tatkräftiger Priester, der sich wenig mit Segnungen und Gebeten abgibt. Sein Einsatz für Gott und die Welt ist handfest: Er kann zupacken und renoviert ganz allein eine Kirche. Laura Morante spielt die unglückliche Carla anfangs mit kaum verhülltem depressivem Touch als heimliche Säuferin, besinnt sich dank ihres Sohnes auf ihre Stärken und erfindet sich schließlich neu. Dabei schafft es Laura Morante, dass die Rolle ihre innere Integrität behält. Sie bleibt sich treu, auch in der Veränderung. Enrico Oetiker als Andrea stürzt sich mit glaubwürdiger Naivität und jugendlichem Elan auf seine neue Berufung. Giuseppina Cervizzi macht aus der kleinen Rolle der OP-Schwester Rosa eine Lehrstunde in Komik und kommt – wie die anderen – ohne Overacting aus. Auch das macht den Film sehr angenehm.
 
Zusätzlich bietet die Komödie einen schwungvollen Soundtrack ohne großes Geklingel und Gebimmel, stattdessen mit solide rockigen Rhythmen. Alles passt also zusammen in diesem handwerklich und künstlerisch gelungenen Film mit viel Tempo in den Dialogen und echten Überraschungen in der Handlung. Bravo!

Gaby Sikorski