Die sprichwörtlichen Bretter, die die Welt bedeuten, stehen nicht immer nur in den Großstädten des Landes, sondern können auch in der Provinz zu finden sein. Beim Staatstheater Parchim landeten zwei junge Schauspielerin eher aus Versehen, doch wie Dieter Schumann in seinem Dokumentarfilm „Dann gehste eben nach Parchim“ zeigt, kann auch hier künstlerische Erfüllung gefunden werden.
Dann gehste eben nach Parchim
Deutschland 2024
Regie: Dieter Schumann
Dokumentarfilm
Länge: 95 Minuten
Verleih: Real Fiction
Kinostart: 31. Oktober 2024
FILMKRITIK:
In Hamburg wurden Arikia Orban und Gesa Penthin an der Schauspielschule ausgebildet, doch nach ihrem Abschluss ging die Suche nach einem Engagement los. Für eines der großen, bundesweit bekannten Häuser reichte es (noch) nicht, aber das Staatstheater Parchim engagierte das Duo. Auf den ersten Blick sicherlich nicht unbedingt der Ort, von dem man als junger Schauspieler geträumt hatte, ein kleines, baufälliges Theater in einer Kleinstadt in Mecklenburg-Vorpommern mit weniger als 20.000 Einwohnern.
Aber es ist ein Engagement, das Einstiegsgehalt ist mit gut 2000 Euro Brutto auch nicht schlecht und reicht hier auch für viel mehr als in Hamburg. So stürzen sich die beiden Schauspielerinnen in die Arbeit bei der sie zweieinhalb Jahre von Dieter Schumann begleitet wurden.
Zwischen 2020 und 2022 wurde gedreht und damit genau während den ersten Jahren der Corona-Pandemie. Genau als es mit ihrer Karriere losgehen soll, müssen Arikia und Gesa also eine der größten Krisen der deutschen Bühnen miterleben, als für Monate Theater und andere Aufführungsorte geschlossen waren und dann erst langsam, mit deutlich reduzierter Auslastung und unter teils extremen Sicherheitsvorkehrungen wieder geöffnet wurden.
Was für manche ältere Kollegen vielleicht sogar eine willkommene Pause war, erlebten die beiden Nachwuchsactricen als Zeit der Zweifel: An der Berufswahl, an sich selbst, am eingeschlagenen Berufsweg. Sogar ein Fernstudium nimmt Gesa in dieser Zeit auf, man weiß ja nie.
Doch nach und nach leben sich Arikia und Gesa ein, werden zum Teil des Ensembles, proben unterschiedlichste Rollen, sind Teil der Entwicklung von Stücken. Momente, in denen die Arbeit mit Regisseur*Innen gezeigt wird, zählen zu den interessanten des Films, kleine Kritikpunkte und Anmerkungen werden von den Schauspieler*Innen aufgenommen und gleich umgesetzt, das Wesen der Szene verändert sich, ein Stück entsteht.
Neben den beiden Hauptprotagonisten erweitert Dieter Schumann im Laufe seines Dokumentarfilms den Blick, lässt auch andere Ensemblemitglieder wie Requisiteur Björn, den Musiker Julian und natürlich Regisseur*Innen und den Leiter des Hauses zu Wort kommen. Nach und nach entwickelt sich „Dann gehste eben nach Parchim“ dadurch zu mehr als einem Film, der „nur“ den Karrierebeginn zweier Schauspielerinnen verfolgt. Gerade wenn auch im Zuge der Corona-Pandemie immer häufiger direkt vor dem Theater die AFD einen Informationsstand aufstellt, wird deutlich, welche Bedeutung ein Theater, aber auch andere Kultureinrichtungen für die Gesellschaft hat. Die Frage, wie stark man sich als Theater, als Schauspieler gegen problematische gesellschaftliche Strömungen positionieren soll oder muss wird auch von Arikia und Gesa immer wieder reflektiert. Oft werden Kleinstädte, nicht nur aber besonders im ehemaligen Osten des Landes als abgehängt bezeichnet. Die Einwohnerzahlen gehen zurück, Industrien wandern ab, das Leben stirbt aus, die Großstädte wirken attraktiver. Dass das nicht unbedingt so sein muss, auch das zeigt ein Dokumentarfilm, der neben manchem anderen auch eine Ode an die weltweit einmalige breite Landschaft der deutschen Stadttheater ist.
Michael Meyns