Der äußerst vielseitige Autor und Regisseur Franz Müller hat die in Deutschland bisher relativ unbekannten und (selbstverständlich) fiktiven Tagebuchtexte von Adam und Eva aus der Feder von Mark Twain auf verspielt improvisierte Art und Weise, aber mit viel Witz in Bilder umgesetzt.
Daraus ist eine charmante, kleine Arthouse-Komödie entstanden, die sich deutlich außerhalb des Kino-Mainstreams präsentiert, dabei manchmal in ihrer teilweise putzigen und beherzten Neigung zur Improvisation an Kinderfasching erinnert und generell nicht nur zum Lachen, sondern auch zum Reflektieren einlädt.
Webseite: https://www.thediariesofadamandeve.com/
Deutschland 2023
Regie: Franz Müller
Drehbuch: Franz Müller, nach Mark Twain
Mitwirkende: Anca Androne, Álex Brendemühl, Karen Lynne, Bill Callahan, Belina Mohamed-Ali, Jakob D’Aprile, Eurydice El-Etr, Andrea Dolente, Laura Tonke, Eva Löbau, Florian Mischa Böder, Segundo Lopez, Oldrich Kaiser, Katja Sallay, Lisa Hrdina, Helke Misselwitz, Celso Benjamín Pereira, Inge Blau, Jan Overhausen, Cordula Daus
Kamera: Agustín Mendilaharzu, Markus Koob
Musik: Tonia Reeh
Länge 84 Minuten
Verleih: Mizzi Stock Entertainment
Start: 23.01.2025
Wie fühlt sich das an, wenn man buchstäblich alles neu entdecken kann oder muss? Diese Frage könnten eigentlich nur die ersten Menschen auf der Welt beantworten. Oder jemand, der sich in sie hineinversetzt, wie der große amerikanische Satiriker Mark Twain, der vor über hundert Jahren eine Kurzgeschichtensammlung mit Auszügen aus den Tagebüchern von Adam und Eva veröffentlicht hat.
Adam genießt das bequeme Leben im Garten Eden. Als dort jedoch unerwartet eine neue, langhaarige Kreatur auftaucht, beginnt er, Tagebuch zu führen. Er möchte festhalten, wie sehr ihm dieses Wesen, das die ganze Zeit auf ihn einredet und allem, was ihm begegnet, zwanghaft einen Namen gibt, auf die Nerven geht, Dieses andere Wesen ist natürlich Eva, die bald Adams Beispiel folgt und ebenfalls ein Tagebuch zu führen beginnt. Auch ihre Beurteilung von Adam fällt zunächst wenig schmeichelhaft aus, doch die beiden raufen sich zusammen. Ein ganzes Leben lang entdecken sie täglich etwas Neues, sie werden aus dem Paradies geworfen, bekommen Kinder und altern gemeinsam. Am Ende wird ihnen klar, dass ihre wichtigste Entdeckung die Liebe war.
Franz Müller hat die von Mark Twain mit staubtrockenem, lakonischem Humor geschriebenen Tagebucheinträge unverändert gelassen und den literarischen Text nicht angetastet. Sie werden aus dem Off gelesen, während Adam und Eva ihre Welt entdecken. Als Garten Eden dient zunächst ein grandios fotogener argentinischer Nationalpark, den Adam und Eva in absurd-kindlichen Kostümen inkl. Zottelperücken erkunden. Auch die Tiere, denen die beiden begegnen – unter anderem ein Dodo und ein Dinosaurier – scheinen eher aus einer Kinder-Karnevalsparty als aus einer CGI-Schmiede zu kommen.
Diese fantasievoll paradiesischen Bilder kontrastiert Müller mit der Berliner Gegenwart, wo er drei verschiedenen Paaren, genauer gesagt: zwei heterosexuellen und einem lesbischen Paar, mit der Kamera folgt und deren liebevoll eingefangene Alltäglichkeiten ebenfalls mit den Twainschen Tagebucheinträgen unterlegt.
Der Zahn der Zeit hat Mark Twains Prosa und seinem Humor nichts anhaben können. Seine bissigen Bemerkungen und gelegentlichen Weisheiten über die Unvereinbarkeit von Mann und Frau wirken zeitlos aktuell genau wie das durchaus tiefgründige Sinnieren über das Wesen der Liebe und des Menschseins. In jeder Einstellung wird der Spaß deutlich sichtbar, den die Beteiligten dabei hatten, Twains Text mit den typischen Franz-Müller-Mitteln, als da wären Improvisation, Witz und Übermut, um nur einige zu nennen, zu illustrieren und zu kontrastieren. Wer Müllers Filme „Worst Case Szenario“ und „Happy Hour“ gesehen hat, wird sich erinnern ... Müllers Hang zum Improvisierten und zum ständigen Ironisieren des Geschehens mit gelegentlich brachial einfachen Mitteln mag nicht jedermanns Sache sein, aber hier funktioniert’s ganz prächtig.
Dass dies ein Low-Budget-Film ist, merkt man jeder Einstellung an. Denn Franz Müller lebt seine Fantasie voll aus und versucht erst gar nicht, die Beschränkungen, unter denen er gearbeitet hat, diskret zu verbergen. Im Gegenteil, mehr noch als in seinen vorigen Filmen zelebriert er die Einfachheit; er kokettiert geradezu mit ihr. Dadurch schafft er eine enorme Fallhöhe, und Fallhöhe ist bekanntlich eine der Grundvoraussetzungen, um Komik zu erzeugen.
Natürlich hält Franz Müller uns den Spiegel vor: Wir sollen uns und unsere Beziehungen in Adam, Eva und in den gegenwärtigen Berliner Paaren wiedererkennen. Das gelingt mühelos. Und es ist vor allem auch deshalb so gut möglich, weil „The Diaries of Adam and Eve“ unter anderem ein unendlich charmanter Film ist, der einem am Ende auch noch Tränen der Rührung in die Augen treiben könnte.
Gaby Sikorski