Zwei Jahrzehnte dauerte die Militärdiktatur in Brasilien, doch die Folgen waren noch viele Jahre später zu spüren. Basierend auf einer wahren Geschichte beschreibt Walter Salles in seinem berührenden Film „Für Immer Hier“ die Entführung und das Verschwinden eines Familienvaters, erzählt durch die Augen seiner Frau. Deren Kampf gegen das Unrecht wird zum Fanal gegen ein System, das seine Feinde oft einfach verschwinden lassen wollte.
Ainda estou aqui
Brasilien/ Frankreich 2024
Regie: Walter Salles
Buch: Murilo Hauser, Heitor Lorega, nach dem Buch „Ainda Estou Aqui“ von Marcelo Rubens Paiva
Darsteller: Fernanda Torres, Selton Mello, Valentina Herszage, Luiza Kozovski, Bárbara Luz, Cora Mora, Guilherme Silveira, Maria Manoella
Länge: 137 Minuten
Verleih: DCM
Kinostart: 13. März 2025
FILMKRITIK:
Rio de Janeiro, Weihnachten 1970. Unbeschwert wirkt das Leben der Familie Paiva, die in Fußnähe zur legendären Copacabana in einem weitläufigen Haus lebt. Vater Rubens (Selton Mello) ist Architekt, die Mutter Eunice (Fernanda Torres) kümmert sich vor allem um die fünf Kinder, die Haushälterin Zézé ist Teil der Familie und bald kommt auch noch ein kleiner Hund dazu.
Doch die Fassade wird sich nicht mehr lange aufrecht halten können, denn die Folgen der seit einigen Jahren herrschenden Militärdiktatur werden immer spürbarer: Am Strand fahren Laster mit Soldaten vorbei, im Fernsehen wird von immer neuen Entführungen berichtet, mit denen politische Gefangene freigepresst werden sollen und irgendwann klopft auch bei den Paivas die Geheimpolizei an: Rubens soll mitkommen, angeblich nur zu einem Routineverhör, denn er war vor vielen Jahren einmal Abgeordneter und hegt Sympathien für die Kommunisten.
Bald müssen auch Eunice und ihre älteste Tochter zum Verhör mit, bleiben Tage in Haft. Als sie freigelassen werden hat sich alles verändert, Rubens bleibt verschwunden, doch was mit ihm geschehen ist, erfährt die Familie nicht. Stoisch versucht Eunice ein Gefühl der Normalität aufrecht zu halten, ihre jüngeren Kinder vor der schrecklichen Wahrheit zu beschützen. Erst viele Jahre später, lange nach dem Ende der Diktatur werden sie endlich Antworten bekommen. Rubens bleibt zwar verschwunden, aber Eunice ist immer noch da.
Eine der besonders grausamen Aspekte nicht nur der brasilianischen Militärdiktatur, war das spurlose Verschwinden von Menschen. Keine Leiche verschaffte Gewissheit, die Angehörigen wurden im Unklaren gelassen, konnten zwar ahnen, was passiert war, doch ein kleiner Funke Hoffnung machte es schwierig, abzuschließen. In dieser Situation befindet sich die von Fernanda Torres gespielte Eunice, die sich bald zur Hauptfigur, zum Auge von Walter Salles herausragendem historischen Drama „Für Immer Hier“ entwickelt. Steht zu Beginn noch die ganze Familie und ihr breiter Freundeskreis im Mittelpunkt, wird in euphorischen, impressionistischen Szenen das schöne, freie Leben beschworen, konzentriert sich der Blick bald zunehmend auf Eunice.
Torres spielt sie in ihrer vielfach ausgezeichneten Darstellung (zuletzt kam ein Golden Globe dazu, eine Oscar-Nominierung ist nicht unwahrscheinlich) betont zurückhaltend, als Frau, die sich bislang vor allem um die Kinder gekümmert hat, von den politischen Aktivitäten ihres Mannes nur ahnte, aber nichts Genaues wusste, und die nun auf einmal ganz im Mittelpunkt steht. Zwischen der Ungewissheit über den Verbleib ihres Mannes und der Notwendigkeit, ihre teils noch sehr jungen Kinder zu umsorgen bewegt sich Eunice, erfährt langsam die Wahrheit, verbirgt ihre Emotionen aber, um ihre Kinder zu schützen.
Erst viele Jahre später, durch zwei Zeitsprünge, die fast bis zur Gegenwart reichen, schließt Walter Salles die Klammer, erzählt vom Leben nach der Diktatur, aber auch davon, wie die Folgen von Mord, Folter und dem Verschwindenlassen noch lange nachwirken.
Michael Meyns