Timothée Chalamet gilt als der aktuelle Goldjunge von Hollywood. Ob in Arthaus à la „Call Me by Your Name“ oder in Popcorn mit doppeltem „Dune“ wird der 29-Jährige von Presse und Publikum gefeiert. Nun gab es auch Lob vom sonst so wortkargen Bob Dylan höchstpersönlich. Die Musik-Ikone lobte auf „X“ die Darstellung im Biopic von James Mangold. Kein Wunder, mehr charismatischer Charme und Lässigkeit passen auf keine Leinwand. Eine famos erzählte und grandios gespielte Liebeserklärung an die Singer-Songwriter-Legende. Sogar singend überzeugt dessen talentierter Darsteller-Tausendsassa. Cool. Cooler. Chalamet! Zu seiner Oscar-Nominierung gesellen sich noch sieben weitere!
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USA 2024
Regie: James Mangold
Darsteller: Timothée Chalamet, Edward Norton, Elle Fanning, Monica Barbaro,
Boyd Holbrook, Dan Fogler, Norbert Leo Butz
Filmlänge: 140 Minuten
Verleih: The Walt Disney Company Germany
Kinostart: 27. Februar
Festivals: 75. Berliner Filmfestspiele „Berlinale Special“
FILMKRITIK:
„Timmy ist ein brillanter Schauspieler, deshalb bin ich mir sicher, dass er voll glaubwürdig sein wird – als ich. Oder als mein jüngeres Ich. Oder mein irgendwie anderes Ich“, schwärmt Robert Allen Zimmerman alias Bob Dylan auf „X“. Da der mittlerweile 83-Jährige für sein minimales Mitteilungsbedürfnis bekannt ist, zählen solch lobende Worte umso mehr.
Anno 1961 kommt der Teenager aus Minnesota in New York City an. Im Gepäck hat dieser „Complete Unknown“ seine Gitarre sowie ziemlich große Träume von einer Karriere als Musiker. Die Folkmusik-Legenden Pete Seeger und Woody Guthrie erkennen schnell das außergewöhnliche Talent des 19-Jährigen. Bei Frauen erregt der attraktive Junge mit der Mundharmonika gleichfalls Aufmerksamkeit. Mit der selbstbewussten Sylvie Russo beginnt eine erste Lovestory. Als sie verreist, schlägt die Stunde für Joan Baez. Wenn Bob, am Morgen danach, verpennt und in Boxershorts, seine Gitarre schnappt und ihr das noch unfertige „Blowin‘ in the Wind“ vorsingt, sorgt das für großartige Mittendrin-statt-nur-dabei-Qualitäten, die eine Biopic braucht, um lebendig zu sein. Ein paar Mal blickt Chalamet dabei seine berühmte Kollegin an, nur wenige Sekunden. Augenblicke, die Poesie und Coolness charismatisch vereinen. Die selbstgedrehte Kippe danach fehlt da natürlich auch nicht. Die romantische Idylle hat indes ihr Haltbarkeitsdatum. Gemeinsame Auftritte mit Joan Baez sorgen alsbald für allerlei Eifersucht sowie emotionale Turbulenzen. Das fröhliche Liebeskarussell passt zur kulturellen Aufbruchstimmung in den USA. Die West Village avanciert zum perfekten Karrieresprungbrett für kreative Künstler, die Visionen verfolgen und Mut für Neues haben.
Die Wege zum Ruhm lassen für Dylan nicht lange auf sich warten. Ein erster Scheck über 10.000 Dollar sowie ein Sack voller Fanpost warten in der Plattenfirma auf den verblüfften Star. Beim spontanen Lässigkeits-Dialog-Duell mit Johnny Cash geht er souverän als Sieger hervor, bei den Fans und Groupies bleibt freilich oft nur die Flucht. Musikalisch wird Dylan gleichfalls die Flucht antreten. Beim Newport Folk Festival 1965 verabschiedet er sich vom Folk und spielt zum Schrecken der Hippies lieber Rock. Statt den Folk-Messias zu geben, setzt er die legendäre Sonnenbrille auf und macht, Widdewiddewitt, was ihm gefällt. Judas-Rufe sind die Quittung.
Mit „Walk the Line“ hat Regisseur James Mangold vor 20 Jahren Johnny Cash ein cineastisches Denkmal gesetzt. Das gelingt ihm nun abermals perfekt mit dem Porträt der Singer-Songwriter Ikone Bob Dylan. Sehr klug beschränkt er sich auf die ersten Jahre, was das Porträt umso intensiver macht. Und spannender als die genretypischen Standard-Kapitel vom Aufstieg, dem Ausverkauf der Ideale, den Drogen, dem Fall, der Läuterung. Vermieden wird zudem die zweite klassische Biopic-Falle, das Objekt der Begierde mit Heiligschein und Weichzeichner zu präsentieren. Keine PR-Märchen, sondern ein Mensch und Künstler mit Ecken und Kanten.
Dass der Maestro seinen Nobelpreis für Literatur nicht persönlich entgegengenommen hat, genügt als amüsante Fußnote im Abspann. Die Annäherung an ein Musik-Genie funktioniert am besten mit Minimalismus und viel Musik. Fast klar die Antwort auf die Frage, ob er Gott sei: „Wie oft noch? Ja.“ Für Chalamet gilt das gleichermaßen. Mit einer gewagten Pfirsich-Szene schrieb er in „Call Me by Your Name“ einst Filmgeschichte. Beim Oscar hat es damals nur für eine Nominierung gereicht. Mit dieser hypnotischen Dylan-Darbietung sollte es diesmal auf das Siegertreppchen reichen.
Dieter Oßwald