Unter den Sternen von Paris

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Vor einigen Jahren beschäftigte sich Claus Drexel auf dokumentarische Weise mit dem Leben von Obdachlosen in Paris, nun führt er diese Arbeit auf fiktive, fast märchenhafte Weise weiter. In „Unter den Sternen von Paris“ treffen verlorene Seelen aufeinander und überwinden ihre Unterschiede. Nicht immer frei von Kitsch, doch getragen von großer Sympathie für das Leben und Wesen der Obdachlosen.

Website: www.arsenalfilm.de/unter-den-sternen-von-paris/

Sous les étoiles de Paris
Frankreich/ Belgien 2020
Regie: Claus Drexel
Buch: Claus Drexel & Olivier Brunhes
Darsteller: Catherine Frot, Mahamdou Yaffa, Dominique Frot
Länge: 84 Minuten
Verleih: Arsenal Filmverleih
Kinostart: 19.8.2021

FILMKRITIK:

Wie eine Gestalt aus einem Roman von Victor Hugo wirkt die Stadtstreicherin Christine (Catherine Fort), die auf den Straßen von Paris lebt, sich in diesem harten Winter in den Katakomben Verschläge baut, um sich vor der Kälte und unterschiedlichen Bedrohungen zu schützen. Christine ist allein, doch ist sie auch einsam? Sie hat sich mit ihrem Leben arrangiert, in den Routinen zwischen Essensausgabe und den endlosen Wanderungen durch die Stadt, doch eines Tages wird sie aus ihrem Trott gerissen.

Plötzlich steht Suli (Mahamdou Yaffa) vor ihr, ein achtjähriges Flüchtlingskind aus Afrika, das verzweifelt nach seiner Mutter sucht. Anfangs ist Christine wenig begeistert von der Anwesenheit des Jungen, doch wegschicken kann sie ihn auch nicht. Man mag vom Mutterinstinkt sprechen, der sich plötzlich bemerkbar macht, vielleicht ist es auch nur die Erkenntnis, dass auch sie andere Menschen, Kommunikation, Nähe braucht. Gemeinsam macht sich das ungleiche Duo auf die Suche nach Sulis Mutter, begegnet anderen Obdachlosen und mal freundlichen, mal abfälligen Fremden. Die Suche führt in Zeltlager unter Brücken, in denen hunderte Migranten in kläglichen Verhältnissen hausen, in ein Abschiebegefängnis, das dem berühmt-berüchtigten „Dschungel“ von Calais nachgeahmt scheint und schließlich zu der letzten Station, bei der Hoffnungen beginnen und enden: dem internationalen Flughafen.

2012 drehte der aus Bayern stammende Claus Drexel, der seit langem in Frankreich lebt und arbeitet, seinen Dokumentarfilm „Au borde du monde/ Am Rande der Welt.“ Darin schilderte er das Leben von Obdachlosen, versuchte zu zeigen, welche vielfältigen und faszinierenden Charaktere sich hinter dieser Bevölkerungsgruppe, die auch in Frankreich zunehmend größer wird, verbergen. Auch die Hauptfigur in seiner fiktiven Auseinandersetzung mit dem Thema ist viel mehr, als es auf den ersten Blick scheint. Welche Schicksalsschläge Christine erlitten hat, lässt sich nur erahnen – eine Sequenz nach dem Abspann deutet eine Antwort an – doch vor allem sind Christine und all die anderen Obdachlosen Menschen, die verdienen human behandelt zu werden.

In den stärksten Szenen des Films zeigt Drexel fast dokumentarisch wie die Gesellschaft Personen, die ihr unliebsam erscheinen, an den Rand drängt und nutzt die visuellen Kontraste zwischen dem atemberaubend schön gefilmten Paris und den vermüllten Behausungen der Obdachlosen, um der Gesellschaft den Spiegel vorzuhalten. Trotz solcher Momente der Authentizität ist „Unter den Sternen von Paris“ kein sozialrealistischer Film. Vielmehr bestimmen märchenhafte Momente die Geschichte, mag man an Romane von Dickens oder Hugo denken, in denen die Elenden gegen alle Widerstände um ihre Würde kämpfen. Ein etwas heikler Spagat, der in manchen Momenten gar kitschig, verklärt zu werden droht, meist aber die Balance hält und den Menschen, die im Schatten leben, ein Gesicht gibt.

Michael Meyns