Wir werden alle sterben!

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Beinahe täglich wird in Talkshows, Artikeln und Nachrichtensendungen der Untergang der Welt oder zumindest der menschlichen Spezies vorausgesagt. Die meisten Menschen reagieren darauf mit Gelassenheit oder Gleichgültigkeit: „Die übertreiben wieder, das kennt man ja …“
Es gibt aber Menschen, die derartige Weltuntergangsvisionen durchaus ernst nehmen. Ben Knight hat sich für seinen melancholisch-humorvollen Dokumentarfilm „Wir werden alle sterben!“ auf eine kleine Weltreise gemacht, um Prepper, Verschwörungstheoretiker und Weltuntergangspropheten zu treffen … und es waren mehr, als man gedacht hätte. Der Weltuntergang lauert tatsächlich überall.

Webseite: https://wereallgoingtodiefilm.com/

We’re all Going to Die
Deutschland 2023
Regie: Ben Knight
Drehbuch: Ben Knight und Ralf Stadler
Mitwirkende: Amitav Ghosh, Jem Bendell, Laura Schmidt, Alma Lewis Reau, Guy McPherson
Kamera: Amit Edelman, IJ Biermann, Veronika Nad
Musik: Dizraeli & Stroum

Länge: 93 Minuten
Verleih: Drop-Out Cinema eG
Start: 31.10.2024

FILMKRITIK:

Der Journalist Ben Knight fühlt sich nicht mehr wohl in seiner Haut. Immer öfter stehen Krisen im Mittelpunkt seiner Arbeit – er berichtet unter anderem für die Deutsche Welle, den Guardian und den „Freitag“ – und diese Krisen fangen an, ihn wirklich betroffen zu machen. Folgerichtig beginnt er, die Welt zu bereisen und führende, meist selbsternannte Experten für den Umgang mit Krisen aufzusuchen: „Prepper“ und „Doomer“, Menschen, die sich sicher sind, dass der ökologische und/oder gesellschaftliche Zusammenbruch unmittelbar bevorsteht. Von ihnen will er erfahren, wie sie sich auf die von ihnen mit erstaunlicher Selbstsicherheit prognostizierten Untergänge vorbereiten und wie sie im Angesicht der Krise die Nerven behalten, was ihm selbst zusehends weniger gelingt.

Die Menschen, mit denen Knight spricht – u. a. Schriftstellerinnen und Schriftsteller, emeritierte Professoren, die Gründerinnen eines „Meine Güte!“-Netzwerks – kommen in den etablierten Medien, wenn überhaupt, nur als Randfiguren vor, als Wirrköpfe, die man gern lächerlich macht, um den eigenen Standpunkt zu erhöhen. Knight hat jedoch kein Interesse daran, seine Gesprächspartner der Lächerlichkeit preiszugeben. Er nimmt sie als Künstler, als Wissenschaftler und vor allen Dingen als Menschen ernst und kommuniziert mit ihnen auf Augenhöhe. Knight kommt nicht, um zu urteilen, sondern um zu verstehen, und das macht „Wir werden alle sterben!“ zu einem sehr besonderen, sehr anrührenden, aber auch sehr komischen Film.

Denn natürlich sind einige der geäußerten Ansichten mehr als hanebüchen, und spätestens, wenn der sanftmütige Journalist Schießübungen absolviert, um im Extremfall sein Schicksal in die eigene Hand nehmen zu können, geht im Publikum das entgeisterte Kopfschütteln in lautes Gelächter über. Trotz der Komik bleibt Knights Film vollkommen frei von jeder Häme. Dank seiner sensiblen Gesprächsführung erscheinen seine Protagonisten nicht als verwirrte Trottel, sondern immer als ernstzunehmende Gesprächspartner, von deren Erkenntnissen man durchaus profitieren kann, auch wenn man ihrem Weg nicht unbedingt folgen will.

Was wollen Ben Knight und seine bunt gemischten Gesprächspartner eigentlich sagen? Nun, der Filmtitel nimmt die „Botschaft“ des Films – wenn er denn überhaupt eine hat – vorweg: „Wir werden alle sterben!“ Früher oder später, den Zeitpunkt seines Abschieds kennt niemand. Es liegt an jedem einzelnen, sich mehr oder weniger gut auf diesen Abschied vorzubereiten. Knights Protagonisten sind sich sicher, dass er in der nahen Zukunft liegt, und sie handeln entsprechend. Die meisten Kinozuschauer werden anderer Ansicht sein und deshalb vermutlich anders handeln.

Letztlich geht es Knight nicht um Antworten auf irgendwelche „Fragen der Zeit“, weil es diese Antworten mangels letzter Wahrheiten nicht gibt. Trotzdem verlässt man hier das Kino beschwingt und mit einem guten Gefühl. Das liegt an der generell positiven Grundhaltung und daran, dass der Film letztlich wirklich ein paar nützliche Tipps bereithält: Nicht unbedingt für das Überleben nach einer politischen oder ökologischen Katastrophe, aber für den Umgang mit der tiefen Ratlosigkeit, mit der sich viele im Alltag und im Zusammenleben mit anderen konfrontiert sehen.

 

Gaby Sikorski