Der Offene Brief weiter:

Auch wir Kinobetreibenden betrachten die gegenwärtige Entwicklung mit Sorge. Nicht trotz, sondern gerade wegen der wieder ansteigenden Fallzahlen halten wir es für dringend geboten, die Corona-Auflagen in allen Lebensbereichen jetzt genau zu prüfen. Die Pandemie wird uns noch lange begleiten. Um so wichtiger ist es, dass die Menschen verstehen und nachvollziehen können, warum welche Maßnahme getroffen wird. Nur so wird langfristig Akzeptanz geschaffen und nur so fasst die Öffentlichkeit Vertrauen.
Seit der Wiedereröffnung haben die Kinobetreibenden sich als zuverlässige und verantwortungsbewusste Kulturanbieter bewährt. Wir haben unsere Lüftungszyklen mit maximalem Frischluftanteil erhöht, die natürliche Lüftung ausgeweitet, die Zeiten zwischen den Vorstellungen entzerrt, Plexiglaswände eingezogen, Abstandsmarkierungen angelegt und ganze Saalreihen gesperrt. Über die Kontaktverfolgung und hohe Online-Ticket-Quoten stellen wir zuverlässig und nachweisbar sicher, dass all unsere Gäste im Verdachtsfall kontaktier- und nachvollziehbar sind. Und wir haben die Einhaltung dieser Regeln im Alltag strikt reguliert und in notwendigen Fällen Maskenmuffeln den Einlass bis hin zum Hausverbot verwehrt.

Dank klarer, logischer und nachvollziehbarer Regeln konnten wir unser Publikum nicht nur wiedergewinnen, sondern auch schnell an die Befolgung der neuen Abläufe gewöhnen.
Die Bestuhlung in den Kinosälen ist fest installiert. Die gegenwärtige Regelung führt dazu, dass der Mindestabstand am Sitzplatz in der Realität deutlich über 2 Meter liegt – ohne dass sich die Menschen auch nur von Angesicht zu Angesicht gegenübersäßen. Für die Kinos bedeutet dies eine maximale Auslastung von lediglich 20%. Auf dieser Grundlage ist nicht nur der Kinobetrieb unmöglich. Die gesamte Filmbranche ist paralysiert. Studios und Filmverleiher verschieben angesichts der geringen Auslastung Filmstarts und investieren nicht oder kaum in das Marketing rund um die Filmherausbringung. Zugleich sind gerade die kleinen Kinos und Säle häufig ausverkauft. Mit Besucherzahlen, die oftmals unter 10 liegen. Dies trifft vor allem kulturell anspruchsvolle Filme, Programme für junges Publikum und Produktionen aus Deutschland und Europa.
Die vorgeschlagene Regelung von „einem freien Sitz zwischen Besuchergruppen ohne Maskenpflicht” würde zu einem Abstand von ca. 1,20 Meter führen. Die Menschen sitzen gleichgerichtet zur Leinwand, d.h. sie sehen sich nicht an und sie reden auch nicht miteinander. Tröpfcheninfektionen am Sitzplatz sind daher schon theoretisch höchst unwahrscheinlich. Die Lüftungsanlagen sorgen dafür, dass die Richtwerte beispielsweise bei der Frischluftzufuhr je Person und Stunde oder dem CO2-Gehalt in der Raumluft weit unterschritten werden.
Eine Reduzierung des Abstands mit der Pflicht zum Tragen einer Maske ist zwar möglich, aber im Alltag nicht umsetzbar. Wie soll man mit dem Verzehr von Speisen und Getränken umgehen, auf den die Kinos dringend angewiesen sind? Und wie soll das in einem dunklen Saal kontrolliert werden?
Deutschlandweit sind bisher keine Infektionen im Kino bekannt. Auch nicht in Bundesländern wie Nordrhein-Westfalen und Sachsen, wo bereits seit mehreren Monaten die Regel von einem Sitz Abstand zwischen Besuchergruppen ohne Maske gilt. Erfreulicher Weise hat auch Rheinland Pfalz inzwischen nachgesteuert und es gibt positive Signale aus Niedersachsen. Bei der oben genannten Filmkunstmesse gab es über 100 Filmvorführungen in Sälen mit einer tatsächlichen Auslastung bis zu 50%. Durch die schon dargestellten Hygienekonzepte und eine hohe Disziplin beim Publikum im Bereich der Foyers und in den Gängen, wo die Maskenpflicht eingehalten wurde, konnten wir die Veranstaltung sicher und ohne Infektionsfälle durchführen.

Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin,
bitte unterstützen Sie uns in unserem Bedürfnis nach einer Regelung mit Augenmaß.

Es wäre doch sehr kontraproduktiv, wenn die Wirtschaftstreibenden, die sich an Regeln halten und ein geringes Infektionsrisiko aufweisen quasi die Verantwortung für unhaltbare Zustände in bestimmten Branchen, die Unvernunft im privaten Kreis bei Familienfeiern, bei illegal feiernden Jugendlichen und bei sonstigen unkontollierten Treffen tragen. Gerade weil die Zahlen steigen und gerade weil uns diese Pandemie noch lange beschäftigen wird, müssen wir dort ansetzen, wo das Infektionsgeschehen am größten ist und dort eine Perspektiven bieten, wo die Infektionsgefahren gering sind.
Deshalb appellieren wir nochmals eindringlich an Sie, sich für Abstandsregeln im Kino im Sinne der Leipziger Erklärung einzusetzen. Es geht dabei nicht nur um Wirtschaftlichkeit, denn auch mit einer Auslastungsmöglichkeit von 50-60 % pro Saal können die Kinos nicht kostendeckend arbeiten und sind auf Unterstützung angewiesen. Es geht aber darum, dass Kultur auch in Zeiten der Corona-Pandemie wieder Teil des Lebens wird.

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier brachte es bei einem Kinobesuch im Juli auf den Punkt: „Wir haben in den letzten mehr als zehn Wochen vielleicht nicht auf Filme verzichten müssen, aber auf das Kino. Und vielleicht ist doch vielen im Lande klargeworden, das die heimatliche Couch das Kino nicht ersetzen kann. Vielleicht ist auch deutlich geworden, mehr als je, Kino ist Kultur. Wir brauchen Kultur, weil Kultur uns den Blick in eine Welt ermöglicht, die wir allein durch Information auch nicht vollständig erschließen. Kino ist eben auch Emotion, schafft Vielfalt und Empathie, alles das ist unverzichtbar, auch für eine lebendige Demokratie.«

Herzliche Grüße
Dr. Christian Bräuer, Vorsitzender