Seit Jahren zieht sich der Prozess gegen Beate Zschäpe hin, der einzigen Überlebenden des Trios, das nach Ansicht der Bundesanwaltschaft für eine Reihe von Morden verantwortlich ist, denen zwischen 2000 und 2007 zehn Menschen zum Opfer fielen. Wirklich aufgeklärt scheint die Mordserie jedoch nicht, wie auch Sobo Swobodnik in seinem Essayfilm "6 Jahre, 7 Monate und 16 Tage - Die NSU Morde" anzudeuten versucht.
Webseite: www.partisan-filmverleih.de
Essayfilm
Deutschland 2016
Regie & Buch: Sobo Swobodnik
Länge: 73 Minuten
Verleih: Partisan
Kinostart: 18. Mai 2017
FILMKRITIK:
In den nächsten Monaten dürfte der langjährige Prozess gegen Beate Zschäpe mit dem wohl einzig denkbaren Urteil Lebenslang enden. Doch schon jetzt, nach hunderten Prozesstagen, zahllosen Zeugen und Anträgen ist deutlich, dass mit diesem Prozess das Thema NSU keineswegs beendet sein wird; im Gegenteil. Allzu viele Fragen sind offen, hinsichtlich der Täterschaft Zschäpes und der beiden anderen, verstorbenen Täter Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt, die zumindest nach offizieller Ansicht allein verantwortlich für die Mordserie ist, die von den Behörden anfangs als "Döner-Morde" bezeichnet wurde.
Schon diese leicht abfällige Bezeichnung deutet an, wie wenig ernst die Behörden anfangs die Morde nahmen, die vor allem Deutschtürken trafen. Das Problem war nun nicht, dass ermittelt wurde, ob die Opfer kriminelle Kontakte hatten, in Drogenhandel verwickelt waren oder persönliche Probleme hatten, sondern das lange Jahre ausschließlich in diese Richtung ermittelt wurde und nicht ergebnisoffen. Jahrelang wurden Hinweise auf eine rechtsextreme Täterschaft weitestgehend ignoriert, was möglicherweise dazu beitrug, dass der NSU länger unentdeckt bleib als nötig gewesen wäre.
Erst Jahre später gaben die Behörden ihre Fehler zu, bekamen die zu Unrecht verdächtigten Opfer, die allzu lange als Täter gebrandmarkt wurden, halbherzige Entschuldigungen. Wie die Angehörigen dieser Opfer mit diesen falschen Verdächtigungen umgehen, vor allem aber mit der Unklarheit, wer nun wirklich für die Taten verantwortlich war, sind einige der Fragen, die Sobo Swobodnik in seinem Essayfilm "6 Jahre, 7 Monate und 16 Tage - Die NSU Morde" andeutet. Dabei greift er auf der Tonebene ausschließlich auf Aussagen der Beteiligten zurück, die von Schauspielern eingesprochen werden. Vor allem die Angehörigen der Opfer sind hier zu hören, aber auch Politiker, die auf die zahlreichen Ungereimtheiten und ungeklärten Fragen des NSU-Komplexes hinweisen.
Auf der Bildebene beschränkt sich Swobodnik auf mehr oder weniger abstrakte Bilder, die oft nur einen losen Bezug zur Tonebene haben. Einsame Straßen sieht man da, einen finsteren Wald oder - in konkreteren Bildern - den ein oder anderen Tatort. Visuell ist das nur bedingt überzeugend, positiv gesprochen könnte man sagen, dass die Bilder nicht von der Tonspur ablenken, was den Film jedoch oft wie ein Hörspiel wirken lässt.
Zwar hat Swobodnik in den letzten Jahren auch einige auch visuell überzeugende Dokumentarfilme gedreht, vor allem "Der Papst ist kein Jeansboy", das hervorragende Porträt von Hermes Phettberg ist hier zu nennen, doch in diesem Fall lässt sich nicht verhehlen, dass seine Heimat die Literatur ist. Ein dichtes Geflecht aus Aussagen webt er, die nicht von berechtigter Empörung geprägt sind, sondern von Erstaunen über das Verhalten und Versagen der Behörden, von Enttäuschung über die Diskriminierung, die Deutschtürken immer noch entgegengebracht wird, aber auch von der Hoffnung, dass der NSU-Komplex doch noch wirklich aufgeklärt wird.
Dieses Thema wird Deutschland noch lange beschäftigen, die filmische Auseinandersetzung hat erst begonnen: "Der Kuaför aus der Keupstraße" beschäftigte sich letztes Jahr mit ähnlichen Fragen, Fatih Akins nächster Film "Aus dem Nichts" spielt ebenfalls auf Terroranschläge an, nun also Swobodniks Film, der - angesichts seiner kurzen Länge von kaum 75 Minuten - als idealer Einstiegspunkt etwa in Diskussionsveranstaltungen zum Thema NSU-Komplex dienen könnte.
Michael Meyns