A Thousand & One Nights

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Sindbads Reisen, Ali Baba und die vierzig Räuber, die Insel der Sirenen und der Turmbau zu Babel: Regisseur Eiichi Yamamoto und Autor Osamu Tezuka verschmelzen die Erzählungen aus Tausendundeiner Nacht, griechischer Mythologie und Bibelgeschichten zu einem synästhetisch berauschenden und formal ausufernden Animationsfilm. Die Blindheit der männlichen Begierde trägt den Protagonisten Aldin durch die zwischen Tragik, Absurdität und Komik changierenden, morgenländischen Erzählungen, die der Kinofilm von 1969 frei adaptiert. „A Thousand & One Nights“ ist der erste Teil der „Animerama-Trilogie“ von Yamamoto und Tezuka, die Rapid Eye Movies als restaurierte Fassung in die deutschen Kinos bringt.

Webseite: rapideyemovies.de

Japan 1969
Regie: Eiichi Yamamoto
Buch: Osamu Tezuka, Kazuo Fukasawa, Hiroyuki Kumai
Länge: 128 Minuten
Verleih: Rapid Eye Movies
Kinostart: 07. Juni 2018

FILMKRITIK:

Ein Wasserverkäufer stolziert durch die Wüste. Sein langer Schatten wiegt sich im Groove des Bluesrock-Soundtracks, das Hitzeflimmern zieht das Grinsen auf seinem Gesicht in die Breite. Aldin heißt der Mann, der antritt, die Geschichten aus 1001 Nacht zu durchleben. Sein nonchalanter Auftritt unterstreicht bereits in der ersten Szene, dass Autor Osamu Tezuka und Regisseur Eiichi Yamamoto keine Ambition haben, die morgenländischen Erzählungen in einen schlichten Animationsfilm zu verpacken.
 
„A Thousand & One Nights“ ist ein Chamäleon, ein Amalgam aus 1001 Nacht, griechischer Mythologie und biblischer Erzählung, das stets seine Gestalt wandelt. Schon die ersten Bilder Bagdads zeigen die enorme Bandbreite, mit der Yamamoto und Tezuka ihre Erzählung visualisieren. Standbilder verschmelzen mit klassischen Animationen, die sich kurz darauf in grob skizzierte oder gänzlich farbgefüllte Bildfragmente auflösen. Wie in Comicpanels ordnet der Film die Architektur der Stadt und erzählt die Geschichte, indem einzelne Bilder ausgetauscht werden. Im fließenden Übergang der Stilelemente führt die Reise Aldins weit über Grenzen der Vorlage hinaus. Der Protagonist entdeckt nicht nur das Versteck Ali Babas und segelt unter dem Namen Sindbad zu den Inseln des Riesenvogels Rock, er bereist auch die Insel der Sirenen und initiiert schließlich den Turmbau zu Babel. Yamamoto inszeniert das epische Potpourri aus orientalischer und westlicher Mythologie als synästhetischen Rausch. Farbe und Form stülpen das Innenleben der Figuren nach außen. Als Aldin auf seiner Reise einen Schatz erbeutet, überzieht ein fiebriges Gelb das gesamte Bild, so dass der vom Goldrausch ergriffene Abenteurer kaum noch von den Münzen zu unterscheiden ist. In einer darauffolgenden Kampfszene werden Ali Babas Räuber und ihre Widersacher im Scharlachrot des Blutrausches zu Silhouetten, denen keine Zugehörigkeit mehr anzusehen ist.
 
So wie die zahllosen Stilvariationen einzelne Handlungsabschnitte gänzlich einfassen, bildet die Blindheit der männlichen Begierde den roten Faden aller Episoden der Erzählung. Die Libido ist immer der Antrieb hinter den grotesken und surrealen Abenteuern des Films. „A Thousand & One Nights“ deckt nahezu alle Spielarten der wahnhaften Geilheit und ihrer Folgen ab. Etwa wenn Aldin von einem Sklavenschiff aufgelesen wird und sich um die Arbeit drückt, indem er den anderen Sklaven am Ruder von seinen sexuellen Eroberungen erzählt. Während diese seinen Geschichten lauschen, verlieren sie den Rhythmus des Paddelschlags. Lüstern rudert die Sklavenmannschaft gegen den Takt, bis das Schiff sich auf offener See im Kreis dreht. Dem Film selbst droht mitunter das gleiche Schicksal, doch in den Schlüsselmomenten zeigt Yamamoto bereits die formale Virtuosität, mit der er spätestens durch sein Meisterwerk „Belladonna of Sadness“ bekannt wurde. „A Thousand & One Nights“ wirkt besonders in der Darstellung sexueller Gewalt wie ein Pendant des vier Jahre später erschienenen Klassikers. In einer der eindrucksvollsten Szenen des Films, bringt das Leid einer Frau das Filmbild selbst an zum Zusammenbruch. Als Madia, die Tochter Ali Babas, vergewaltigt wird, verliert das Bild über ihre Qualen all seine Farbe. Schwarz überzieht die vorher noch sichtbare bunte Graslandschaft und den Körper des Opfers. Nur Madias weit aufgerissenen Augen bleiben noch sichtbar.
 
Die Blindheit der männlichen Herrscher gegenüber diesem Leid und den Konsequenzen ihrer Heldentaten, findet ihren Höhepunkt mit Aldins Aufstieg zum König von Bagdad. Bald steht er dort auf dem Gipfel seines Turmes zu Babel. Das gewaltige Phallussymbol, das er zum Leid der Bevölkerung auf dem Zenit seiner Macht errichten lässt, ist das finale Zeichen seiner Hybris. Vom höchsten Punkt des Turms predigt er hinunter, in der Annahme mit der ganzen Welt zu sprechen. Bald muss Aldin erkennen, dass ihn auf dem Scheitelpunkt seines Wahns niemand mehr hören kann. Wir kennen bereits das Ende, das den Turm erwartet. Und doch findet Yamamoto auch in den Trümmern des wolkenkratzenden Phallus seinen ganz eigenen Zugang zum pathetischen Untergang. Der letzte Stein, der aus den Trümmern hervorsticht, trägt ein gleichermaßen selbstironisches und auf den Film selbst anwendbares Qualitätssiegel: „Made in Japan“.
 
Kartsen Munt