Babylon – Rausch der Ekstase

Zum Vergrößern klicken

Schon in „La La Land“ huldigte Damien Chazelle der Traumfabrik Hollywood, jetzt setzt er noch einen drauf: „Babylon – Rausch der Ekstase“ zeigt in ausufernden, überbordenden drei Stunden, wie sich Hollywood Ende der 20er, Anfang der 30er Jahre veränderte, badet in Exzess, beweist, das mehr nicht notwendigerweise besser sein muss, und ist am Ende doch eine oft mitreißende, hingebungsvolle Ode an die Magie des Kinos.

Babylon
USA 2022
Regie & Buch: Damien Chazelle
Darsteller: Margot Robbie, Brad Pitt, Diego Calva, Li Hun Li, Jean Smart, Eric Roberts, Jovan Adepo

Länge: 189 Minuten
Verleih: Paramount
Kinostart: 19. Januar 2023

FILMKRITIK:

Eitelkeit und Hollywood gehen Hand in Hand, insofern verwundert es nicht, dass es immer wieder Filme gibt, die sich mit dem Filmemachen selbst beschäftigen, die den Abgründen der Traumfabrik nachgehen, vor allem aber der Magie des Kinos huldigen. Sich selbst zu bestätigen, in welch wundervoller Branche man arbeitet, wie viel Freunde man den Menschen bereitet: Wer kann da schon Nein sagen? So mag es zu erklären sein, warum das klassische Hollywood-Studio Paramount dem Vernehmen nach sagenhafte 100 Millionen Dollar in einen Film steckte, der in den ersten fünf Minuten einen Elefanten zeigt, der seinen Durchfall direkt in die Kameralinse entlädt und einen Zwerg, der einen überdimensionierten Penis bearbeitet, aus dem dann Literweise weiße Flüssigkeit über ein ekstatisch tanzendes Publikum spritzt.

Nicht umsonst nennt Damien Chazelle seinen neuen Film „Babylon“ und hat dabei ohne Frage auch an Kenneth Angers legendäres Kolportage-Buch „Hollywood Babylon“ gedacht, in dem genüsslich die Exzesse der Filmbranche aufgelistet sind.

Kennt man sich mit der Stummfilmzeit und der frühen Tonfilmära Hollywoods aus, erkennt man in „Babylon – Rausch der Ekstase“ viele reale Vorbilder: Hauptdarstellerin Nellie LaRoy (Margot Robbie), ein junges Starlet, das schnell Erfolg hat, aber Drogen, Alkohol und Sex selbst für Hollywood-Verhältnisse etwas zu sehr zugetan ist, erinnert an das legendäre It-Girl Clara Bow, während der von Brad Pitt gespielte Altstar Jack Conrad an John Gilbert angelehnt ist, der den Sprung vom Stumm- zum Tonfilm ebenfalls nicht schaffte.

Selbst die dritte Hauptfigur, der Mexikaner Manny Torres (Diego Calva), ist nur bedingt ein Zugeständnis an den Diversität hochhaltenden Zeitgeist, sondern ein Amalgam diverser Latino Schauspieler und Drehbuchautoren, die um 1930 aktiv waren.

Auf einer ausufernden Party begegnet sich das Trio zum ersten Mal, danach laufen ihre Wege und vor allem Karrieren auseinander, um sich immer wieder zu kreuzen. Während Nellie auf Grund ihres über die Maßen expressiven Gesichtes schnell ein Star wird, agiert Manny erst als Conrads Assistent, bevor er einen Job als Produzent bekommt. Weitere Figuren sind der Schwarze Trompeter Sidney Palmer (Jovan Adepo), in dem man Duke Ellington erkennen mag, und die Chinesin Lady Fay Zhu (Li Jun Li), unzweideutig inspiriert von Anna May Wong, dem ersten Hollywood-Star asiatischer Herkunft.

Doch was erzählt Damien Chazelle mit all diesen Verweisen, den Szenen von Dreharbeiten vor und nach der Ton-Revolution? Wirkliche Komplexität erreichen die Figuren nicht, sie bleiben Typen, die unterschiedliche Aspekte Hollywoods verkörpern. Ein wenig naiv mutet dabei oft der Vergleich zwischen altem und neuem Hollywood an, zwischen der vorgeblichen nicht zuletzt sexuellen Freiheit der späten 20er, die von einem rigiden Regiment unter den Strukturen des Tonfilms wichen. Mit grobem Strich zeigt Chazelle die Traumfabrik, weitestgehend unkritisch, aber auch mit einer Begeisterung für die Magie des Kinos, der man sich nur schwer entziehen kann. Gerade zum Ende, wenn überdeutlich wird, wie sehr „Babylon – Rausch der Ekstase“ an sein großes Vorbild, den Musical-Klassiker „Singin’ in the Rain“ angelehnt ist, gelingen Chazelle die emotionalsten Momente, in denen die Kraft und die Magie des Kinos nicht mehr nur behauptet werden, sondern mit allen Sinnen zu spüren sind. Als runden, durch und durch gelungenen Film mag man diesen ausufernden Exzess nicht bezeichnen, aber in seinen besten Momenten funktioniert „Babylon – Rausch der Ekstase“ als  mitreißende Ode ans Kino.

 

Michael Meyns