Bilder (m)einer Mutter

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Wie soll man, in diesem Fall vor allem frau, mit gesellschaftlichem Druck umgehen, mit Erwartungen, die man eher widerstrebend erfüllt? Und was, wenn es dabei um das Muttersein geht? Jahre nach dem Tod ihrer Mutter findet Melanie Lischker Bildmaterial und Tagebücher, aus denen sie ihren biographischen Dokumentarfilm „Bilder (m)einer Mutter“ formt, dem es auf eindrucksvolle Weise gelingt anhand von sehr Privatem, universelle Fragen zu stellen.

Website: http://koberstein-film.de/

Dokumentarfilm
Deutschland 2021
Regie & Buch: Melanie Lischker
Länge: 79 Minuten
Verleih: Koberstein Film
Kinostart: tbd

FILMKRITIK:

Die 70er Jahre werden oft als Jahrzehnt der Emanzipation beschrieben, als Phase der Bundesrepublikanischen Geschichte, in der sich viel änderte, vor allem im Zusammenleben der Familien, in Bezug auf die Rolle der Frau. Einige Verklärung ist da im Abstand vieler Jahre dabei, zumal sich ändernde Gesetze nicht notwendigerweise auch bedeuten, dass sich in der Gesellschaft sofort etwas verändert.

Melanie Lischker wurde 1983 geboren, in beschaulichen Verhältnissen in Düsseldorf. Thomas, der Vater arbeitete bei SONY, die Mutter Gabi war vor allem Hausfrau, bald kam ein Bruder dazu, eine ganz normale Familie in den 80er Jahren. Doch 1992 starb die Mutter an Krebs, ein herber Einschnitt sollte man meinen, doch der Einschnitt im heilen Familienleben scheint schon früher erfolgt zu sein, vielleicht war die funktionierende Familie auch immer bloß eine Illusion.

Inzwischen hat Melanie Lischker Film studiert ist damit quasi auf offizielle Weise in die Fußstapfen des Vaters getreten, der schon immer gern fotografierte und durch seine Arbeit früh Zugang zu Videokameras hatte. So kam es, dass er schon in den 70er Jahren sich und seine zukünftige Frau filmte, später auch die Kinder, dass es 100 Stunden an Material gab, das nun als Basis für Melanie Lischkers Dokumentarfilm „Bilder (m)einer Mutter“ dient. Fast noch wichtiger ist jedoch ein Fund in einer alten Kiste, in die der Vater wohl seit dem Tod seiner Frau nicht mehr geschaut hat: Tagebücher der Mutter, die von Teenagertagen an ihre Gedanken zu Papier gebracht hat, ihre Selbstzweifel und Reflexionen.

In einem kleinen bayerischen Dorf wuchs sie auf, sehnte sich nach Freiheit, nach der großen weiten Welt, sah sich dennoch immer wieder in den Zwängen der Gesellschaft gefangen. Früh waren Gabi und Thomas ein Paar, die Verliebtheit groß, wohl auch die Hoffnung, anders leben zu können, als die Elterngeneration. Doch trotz aller Emanzipationsbestrebungen, die aus den Universitätsstädten des Landes auch in ländliche Regionen schwappte: Zunehmend fand sich Gabi in den Konventionen gefangen.

Während Thomas zum Bund ging, begann sie, vor allem auf Druck der Eltern, ein Lehramts-Studium in München, was ihr ebenso wenig Freude bereitete, wie andere Berufsversuche. Während Thomas gezielt studierte, danach ins Berufsleben einstieg und schnell Karriere machte, wurde Gabi schließlich Mutter. Verheiratet war das Paar zu diesem Zeitpunkt, Anfang der 80er Jahre, natürlich auch schon, ohne Ehe wären viele Möglichkeiten verschlossen gewesen, es war eben, was man machte, ob man unbedingt wollte oder nicht.

Doch im Gegensatz zu den schönen Reden der Politiker, die trotz aller Gleichberechtigung immer wieder betonten, dass in einer Ehe die Aufgaben eben unterschiedlich verteilt wären, war Gabi wenig begeistert von ihrer Rolle als Mutter. Wie sich das auf die Psyche ihrer Kinder auswirkte bleibt eine offene Frage, ob es auch an diesem Gefühl eines unerfüllten Lebens lag, dass sie unheilbar an Krebs erkrankte, sei dahingestellt.

In einer dichten Bild- und Toncollage, in die sporadisch eigene Gedanken eingeflochten sind, beschreibt Melanie Lischker das Leben ihrer Mutter, die aber eben nicht nur „meine Mutter“, sondern auch allgemeiner „eine Mutter“ ist. Auch wenn keine Allgemeingültigkeit behauptet wird: Die Fragen, die Lischker aufwirft sind auch heute noch relevant, mag die Diskrepanz zwischen gesellschaftlichen Erwartungen und eigenen Vorstellungen für viele Frauen immer noch eine Zerreißprobe sein. Ein eindrucksvoller Dokumentarfilm, dem es gelingt, sehr private Bilder und Erzählungen, zu einem universellen Blick zu formen.

Michael Meyns