Breaking Social – Können wir uns die Reichen leisten?

Zum Vergrößern klicken

Leistung wird belohnt. In aller Kürze ist das die Basis der Gesellschaft, aber stimmt dieses Ideal noch? Zunehmend hat es den Anschein, als gerät das System aus den Fugen, als würde es sich nicht mehr lohnen zu arbeiten, ein vages Gefühl, dem der schwedische Regisseur Fredrik Gertten in seiner Dokumentation „Breaking Social“ nachgeht. Auf erfreulich ruhige, nachdenkliche Weise, die seinen Film viel interessanter macht als wenn er sich auf bloße, agitatorische Anklage beschränken würde.

Webseite: https://mindjazz-pictures.de/filme/breaking-social/

Schweden 2023
Regie: Fredrik Gertten
Dokumentarfilm

Länge: 93 Minuten
Verleih: mindjazz pictures
Kinostart: 26. Oktober 2023

FILMKRITIK:

Seit der Aufklärung hat sich der Gedanke durchgesetzt, dass die Bürger in einer Art Sozialkontrakt mit der Gesellschaft stehen, in der sie aufwachsen, ein Vertrag der auf dem Gedanken der Meritokratie basiert: Bemüht man sich, folgt man den Regeln und Gesetzen der Gesellschaft, arbeitet man, dann wird man mit einem annehmbaren Leben belohnt. Wie weit nach oben man in der Gesellschaft gelangt, welchen Status, welches Gehalt man erreicht, das hängt von der eigenen Leistung, den eigenen Fähigkeiten ab.

Dass dieser Sozialvertrag nie wirklich zu einhundert Prozent gültig war, schon gar nicht für sämtliche Mitglieder einer Gesellschaft, dürfte inzwischen außer Frage stehen. Doch in den modernen westlichen Gesellschaften sind es nicht mehr „nur“ Minderheiten, nicht mehr nur „die Anderen“, die vom Sozialvertrag ausgeschlossen werden, sondern immer weitere Teile der Bevölkerung.

An diesem Punkt setzt „Breaking Social – Können wir uns die Reichen leisten?“ an, ein essayistischer Dokumentarfilm, in dem der schwedische Regisseur Fredrik Gertten auf ruhige, nachdenkliche, undogmatische Weise ein Thema umkreist, das für das zukünftige Zusammenleben in unserer Gesellschaft von großer Bedeutung erscheint.

Vor allem in drei Ländern hat Gertten gedreht, in Malta, Chile und den USA, drei Ländern, drei Situationen, die auf den ersten Blick wenig miteinander gemein haben, auf den zweiten jedoch symptomatisch für globale Entwicklungen und Missstände stehen.

Auf der kleinen Mittelmeerinsel Malta wurde 2017 die investigative Journalistin Daphne Caruana Galizia ermordet. Sie hatte über ein System der „Goldenen Passporte“ berichtet, das es reichen Menschen aus nicht unbedingt demokratischen Staaten ermöglichte, sich einen „guten“, einen europäischen Pass zu sichern. Im amerikanischen West-Virginia lebt die Autorin Sarah Chayes und kann praktisch vor ihrer Haustür beobachten, welche Folgen der ungezügelte Kapitalismus hat: Auf der Suche nach neuen Erz-Vorkommen wird die Landschaft rücksichtslos durchpflügt, eine Landschaft, von der alle Menschen profitieren könnten, während von den Gewinnen des Erz-Abbaus nur sehr wenige profitieren. Und schließlich Chile, wo es vor einigen Jahren massive Proteste gegen die Regierung gab, die zu landesweiten Protesten gegen soziale Ungerechtigkeit führten und für kurze Zeit die Möglichkeit einer neuen, gerechteren Verfassung hochleben ließen.

Dass Wandel einfach ist, dass sich an den seit Jahrzehnten, wenn nicht Jahrhunderten festgefahren Strukturen schnell etwas ändern könnte, so naiv und optimistisch ist Gertten nicht. Eine überlegte Haltung, die „Breaking Social“ zu einem erfreulich undogmatischen Film macht, der nicht behauptet alle und schon gar nicht die richtigen Antworten auf die drängenden Fragen der Gegenwart zu haben. Im Gegenteil, Gertten stellt Fragen, auf die seine Gesprächspartner unterschiedliche, zum Teil auch widersprüchliche Antworten geben. Weniger ein Pamphlet ist dieses kluge Dokumentarfilm, als ein Anlass zu Gesprächen und Diskussionen, über eine Frage, die für das zukünftige Zusammenleben von entscheidender Bedeutung sein wird.

 

Michael Meyns