Dancing with myself

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Die Dokumentarfilmerinnen Judith Keil und Antje Kruska verfahren in ihrem neuen Werk  nach bewährtem Muster. Wie in ihrem gefeierten Film „Der Glanz von Berlin“ (2001) porträtieren sie drei Menschen, die sich nicht kennen, aber etwas gemeinsam haben. Im „Glanz von Berlin“ war es das Putzen, in „Dancing with myself“ ist es das Tanzen. Glamouröser wird die Angelegenheit dadurch nicht. Keil und Kruska porträtieren erneut  Menschen in Berlin, die an den Widrigkeiten des Lebens zu scheitern drohen. So entstand eine mitunter anstrengende, aber auch anrührende Reise durch die Nacht.

Webseite: www.timebandits-films.de

Deutschland 2005
Regie: Judith Keil, Antje Kruska
Buch:  Judith Keil, Antje Kruska
Kamera: Marcus Winterbauer
Länge: 96 Minuten
Filmstart: 18. Januar 2007
Verleih: Timebandits Films

PRESSESTIMMEN:

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FILMKRITIK:

Reinhard Borutta hat sich ein berühmtes Vorbild ausgesucht: Alexis Sorbas, den weisen und sinnenfrohen Griechen, der am Ende, als alles zusammenbricht, einfach zu tanzen beginnt. Es gibt wenige Werke der Filmgeschichte, in denen das trotzige Motto „Scheitern als Chance“ so schön umgesetzt wurde. Aber Borutta ist nicht Alexis Sorbas. Er habe nicht dessen „Power“, sagt er, weil er seit vielen Jahren unter Schlafstörungen leide. Und das erweise sich als „eine Lebensbremse“. Aber gelegentlich dreht der 63-Jährige auf. Dann tanzt er stundenlang und „weiß gar nicht, wo die Kraft herkommt“. Borutta ist auf esoterisch ausgerichteten Tanzflächen unterwegs, wo mehrheitlich Frauen mit wilden Mähnen irgendwie alles rauslassen. Wegen einer dieser Grazien hat der Tänzer seine Ehe aufgegeben. Doch Stella, so heißt die Dame, ist ihm allenfalls freundschaftlich verbunden.

Mario Sönke besucht konventionelle Discos wie den „Speicher“ in Friedrichshain. Dort schwitzt er unter der Discokugel, macht die eine oder andere Bekanntschaft und kehrt nach durchtanzter Nacht in sein mobiles Heim zurück. Sein Wohnmobil ist sein Bollwerk gegen jede Form von „Spießbürgerlichkeit“. Als der 36-Jährige aber seinen Job verliert und sich eine neue Arbeit nicht so schnell findet, versinkt Sönke in Trübsinn. Die 18-jährige Laurin schließlich macht die Tanzfläche zu ihrem Podium. „Wenn ich tanze, weiß ich, das die Leute mich sehen“. Sie könne sich „frei bewegen“ und sei „trotzdem nicht einsam“. Je mehr sie Partys zu ihrem Lebensinhalt macht, desto schwieriger wird es tagsüber. Sie schmeißt schließlich die Schule, ohne zu wissen, was sie stattdessen tun will.

Tanzen ist für die drei Protagonisten gleichermaßen Notwendigkeit und Fluchtpunkt – keine wirklich überraschende Erkenntnis. Aber darin erschöpft sich die Dokumentation auch nicht. „Dancing with myself“ ist ein schönes Beispiel, wie ein Film im Schnitt entsteht. Keil und Kruska arrangieren ihr Material so, dass die Tänzer im Fortgang der Ereignisse immer mehr Profil gewinnen. Der Zuschauer bleibt interessiert, weil er die Protagonisten von Szene zu Szene besser kennen lernt, seinen Blickwinkel gelegentlich ändert und vielleicht auch mal die Sympathien neu verteilt. Die Filmemacherinnen wahren eine wohltuende Distanz zu ihren Helden, spendieren ihnen aber eine Art Happyend – wenn auch nur auf der Tanzfläche und nicht im richtigen Leben.

Volker Mazassek